Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
Sponti ist tatsächlich auch ein spontaner Mensch! Der Begriff kommt aus den siebziger Jahren. Einige der sogenannten Achtundsechziger wurden Spontis genannt, weil sie darauf setzten, dass sich das Volk »spontan« und »massenhaft« zu einer linken Revolution versammeln würde. Wegen dieser Spontaneität würde man keine Partei brauchen, um den Kommunismus einzuführen. Bekannt wurden die Spontis vor allem durch ihre lustig-absurden Sponti-Sprüche, mit denen sie auf sich aufmerksam machten, zum Beispiel: »Gestern standen wir noch vor einem Abgrund. Heute sind wir schon einen großen Schritt weiter.« Rückblickend wurde der Begriff »Spontis« dann verallgemeinert und meint Leute, die damals an Demos und Straßenkämpfen teilnahmen. Die Achtundsechziger sind heute Senioren; aber als sie jung waren, haben sie Westdeutschland tatsächlich schwer aufgemischt, mit Studentenrevolten, wilden Wohngemeinschaften usw. Sie waren für mehr Freiheit, wollten das Spießertum der fünfziger Jahre beenden und warfen ihren Eltern vor, sich nicht ehrlich mit der Nazi-Vergangenheit auseinanderzusetzen. Deshalb waren sie sehr links, viele träumten vom kommunistischen Paradies, auf jeden Fall wollten sie die Welt verbessern. Die Achtundsechziger waren ein bisschen so wie heute die Globalisierungsgegner. Nur dass Deutschland damals nicht ansatzweise so liberal war wie heute und der Protest der jungen Leute insofern richtig riskant war. Die Straßenkämpfe damals waren tatsächlich Revolten und nicht nur Ritual. Auf den Studentenführer Rudi Dutschke wurde sogar ein Attentat verübt. Aus einigen Spontis wurden später Terroristen der RAF , die noch bis in die achtziger Jahre hinein Politiker ermordete. Andere Achtundsechziger hingegen wurden selbst Politiker. Der Ex-Sponti Joschka Fischer zum Beispiel schaffte es bis zum Außenminister. Auch wenn »Sponti« hier jetzt eher lustig klingt: Die Achtundsechziger haben in unserer Gesellschaft insgesamt zu einem spürbaren Wandel beigetragen, etwa zu größeren persönlichen Freiheiten, weniger Autoritätsgläubigkeit, einer weniger strengen Kindererziehung, mehr Gleichberechtigung von Frauen etc. Große Protestbewegungen hinterlassen immer Spuren, auch bei jenen, die sie erbittert bekämpften. Andererseits findet auch nicht jeder den angestoßenen gesellschaftlichen Wandel nur segensreich.
Störfeuer Immer wenn man denkt, jetzt ist Ruhe in der Partei (oder Koalition), kommt wieder einer um die Ecke und äußert laute Kritik oder fordert etwas, womit Verhandlungen erschwert werden. Das ist lästig, das ist störend – ein Störfeuer eben. Solche Störfeuer verhindern zum Beispiel, dass ein politischer Kompromiss geschlossen werden kann. Dahinter stehen oft Machtkämpfe: Die Störenfriede wollen verhindern, dass bestimmte Leute Erfolg haben. Hinter dem angeblichen Störfeuer können aber auch ernsthafte inhaltliche Bedenken stehen. »Jetzt muss Schluss sein mit den ewigen Störfeuern«, ist insofern auch eine beliebte Parole, um Kritiker abzuwürgen. Damit erweckt man den Eindruck, die »Störer« würden der ganzen Partei schaden oder einer anderen großen Sache und sollten deshalb besser still sein.
Testballon steigen lassen Man lässt einen Testballon steigen, um zu sehen, wie der Wind steht. Auf die Politik bezogen heißt das: Man will ausprobieren, wie eine Meinung, ein Thema, eine Person, eine Idee oder eine Strategie ankommt. Dafür sucht man sich ein paar Journalisten und setzt die Sache in Umlauf. Mal sehen, wie die Reaktionen ausfallen. Was sagen Parteifreunde dazu, was sagt der politische Gegner dazu, was schreiben die einflussreichsten Journalisten in ihren Kommentaren? Wichtig ist, dass das Thema zunächst nicht »zu groß gefahren wird« und man ein bisschen vage bleibt. Schließlich soll es ja nur ein Test sein. Kommt etwas gut an, dann lohnt es sich, daraus zum Beispiel ein richtiges Wahlkampfthema zu machen oder ein konkretes Gesetzesvorhaben auf den Weg zu bringen.
Unter drei »Unter drei« ist eine Verabredung, die Politiker und Journalisten miteinander treffen können. Wenn der Politiker sagt: »Wir reden unter drei«, dann heißt das so viel wie: »Ich erzähl euch das jetzt nur, wenn ihr versprecht, dass ihr es nicht weitererzählt. Wenn ihr euch nicht daran haltet, erzähl ich euch nie wieder was!« »Unter drei« bedeutet, dass man kein Wort schreiben oder senden darf über das, was man da erzählt bekommt. Die Info ist nur für den Hinterkopf gedacht, um eine
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