Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
Situation besser einschätzen zu können, aber nicht für die Öffentlichkeit. »Unter drei« wird zum Beispiel oft in Hintergrundkreisen geredet. Eine andere Verabredung lautet »Unter zwei«. Dann darf man alles schreiben oder im Radio erzählen, man darf nur nicht verraten, von wem man es hat. In diesen Fällen wird gerne auf sogenannte Regierungskreise verwiesen, oder der Journalist sagt, »wie ich aus dem Ministerium erfahren habe«, ohne Namen zu nennen. Das macht ein Politiker, wenn er zwar will, dass Dinge geschrieben werden, aber nicht als die Quelle dafür genannt werden möchte. Schließlich gibt es noch die Sprachregel »Unter eins«. Das ist der Normalfall, so geht es in jeder Pressekonferenz zu – außer es wird anders angekündigt. Alles, was gesagt wird, ist offen gesagt und darf so auch berichtet werden.
Die Bezeichnungen gehen zurück auf Paragraf 16 der Statuten der 1949 gegründeten Bundespressekonferenz ( BPK ), der Organisation der rund 900 bundespolitischen Korrespondenten in Berlin und Bonn. Die Mitteilungen auf den Pressekonferenzen erfolgen unter 1. zu beliebiger Verwendung, oder unter 2. zur Verwertung ohne Quelle und ohne Nennung des Auskunftgebenden, oder unter 3. vertraulich. Diese Trennung in eins, zwei, drei wurde schon im Ersten Weltkrieg verwendet, als es darum ging, die Journalisten über den Kriegsverlauf zu informieren. Sie hat Vor- und Nachteile. Einerseits ist es ja gut, wenn man »Geheimnisse« erfährt. Man sieht dann manches mit anderen Augen und weiß, was wirklich los ist hinter den Kulissen. Andererseits werden Journalisten mit solchen Vertraulichkeiten auch manipuliert. Denn unter dem Siegel der Verschwiegenheit kann man ihnen natürlich auch alles Mögliche erzählen, um sich selbst in ein gutes Licht zu setzen und die Meinung des Journalisten zu beeinflussen. Außerdem ist es als Journalist blöd, wenn man über vieles Bescheid weiß, aber nichts davon den Wählern erzählen darf. Dann ist man selbst zwar schlau, aber die Bürger bleiben ahnungslos. Und zu guter Letzt darf man nicht vergessen, dass dieses »Wir reden jetzt mal vertraulich« auch eine eigentümliche Form von Nähe schafft. Es schmeichelt natürlich ein bisschen, wenn ein wichtiger Politiker mit einem ein Glas Wein trinkt und einen ins Vertrauen zieht. Doch Nähe und Eitelkeit sind gefährliche Gefühle. Als Journalist sollte man sich von ihnen fernhalten.
Zurückrudern Wenn Politiker etwas gesagt oder getan haben, was ihnen heftige Kritik einbringt, dann müssen sie abwägen, ob sie trotzdem bei ihrer Haltung bleiben, oder ob es klüger ist, nachzugeben. In diesem Fall korrigieren sie sich in den darauffolgenden Tagen: Sie seien »falsch verstanden« worden, sie hätten sich »missverständlich ausgedrückt«, man könne das natürlich auch »in abgeschwächter Form« durchdenken usw. Im Politjargon nennt man das »Zurückrudern«. Man rudert sozusagen ans sichere Ufer zurück, nachdem man sich zu weit vorgewagt hat. Das ist zwar immer ein bisschen peinlich für den Zurückruderer, aber letztlich besser, als mit einem leckgeschlagenen Kahn unterzugehen.
Europa – Harmoniesuche im Konzert der Nationen
Muss man als guter Demokrat für den Euro sein?
Nö. Müssen tut man gar nichts. Den Euro einfach zum Tabu zu erklären, damit unangenehme Diskussionen gar nicht erst aufkommen, kann nicht die Lösung sein. Zwar sind laut aktuellen Umfragen immer noch über 60 Prozent der Deutschen für den Euro, aber die anderen 40 Prozent, die dagegen sind oder keine Meinung haben (»weiß nicht«), sind ganz schön viele. Man wird sie nur schwerlich überzeugen, indem man Entscheidungen als »alternativlos« bezeichnet, um heikle Debatten abzublocken. Es ist im Übrigen keineswegs so, als sei jeder, der den Euro in Frage stellt, auch gegen Europa. Viele Euro-Gegner argumentieren genau umgekehrt: Sie befürchten, dass die gemeinsame Währung der EU schadet. Auch mir macht es Sorgen, wenn ich sehe, dass auf griechischen Straßen deutsche Fahnen verbrannt werden. Führt die Euro-Krise zu einem neuen Nationalismus in Europa, zu einer neuen Deutschfeindlichkeit? Treibt uns die gemeinsame Währung eher auseinander, als dass sie uns zusammenhält? Es sind jedenfalls keine angenehmen Zeiten, in denen wir Europäer im Moment leben, und vielleicht sind es sogar gefährliche Zeiten, die rückblickend im Geschichtsbuch ein großes Kapitel bekommen könnten unter der Überschrift: »Der Zusammenbruch der Europäischen Union«.
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