Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
angewiesen. Es ist, wenn man so will, egal, ob das Land andere einkommensstarke Wirtschaftszweige entwickelt. Ob zum Beispiel genug Ingenieure und Wissenschaftler ausgebildet werden, die neue Techniken entwickeln und die Produktivität des Landes vorantreiben. Damit ist auch der Anreiz, in den Bildungssektor zu investieren, entsprechend geringer.
Eine Regierung, die große Rohstoffvorkommen ausbeuten kann, sei es Öl, Gold oder Diamanten, anstatt auf die Wertschöpfung ihres Volkes angewiesen zu sein, ist auch nicht abhängig von Steuerzahlern, die gepflegt werden wollen und denen gegenüber man begründen muss, was mit ihrem Geld gemacht wird. Wie grundlegend das für die Entwicklung demokratisch-parlamentarischer Strukturen sein kann, zeigt ein kurzer Blick ins Geschichtsbuch: Schon die britische Magna Charta 1215 und später die Bill of Rights 1689 wurden auf Druck des steuerzahlenden englischen Adels beziehungsweise Bürgertums verfasst. Ohne deren Geld konnte der König seine Kriege nicht finanzieren. Besonders prägnant formulierte es die amerikanische Unabhängigkeitsbewegung im 18. Jahrhundert: »No taxation without representation« – wir zahlen keine Steuern, wenn wir nicht mitbestimmen dürfen, wofür das Geld ausgegeben wird. Wer zahlt, will mitreden. Oder wie es so schön heißt: Wer zahlt, bestellt. Eigenes Einkommen macht selbstbewusst. »Verdien du erst mal dein eigenes Geld! Solange du deine Füße unter unseren Tisch stellst …«, bekommen ja auch deutsche Jugendliche seit Generationen von ihren Eltern zu hören. Im europäischen Zeitalter der Aufklärung war das Selbstbewusstsein des wohlhabenden Bürgertums ein entscheidender Faktor für die Veränderung der politischen Machtverhältnisse.
Natürlich sollte man die Macht des Ökonomischen nicht überbewerten und uns Menschen nicht die Fähigkeit absprechen, Ideale jenseits finanzieller Interessen zu verfolgen. Fraglos können auch einzelne herausragende Persönlichkeiten, weitsichtige politische Figuren, die es auf der Weltbühne immer wieder gegeben hat, das Schicksal eines Landes im positiven Sinne verändern und prägen. Insgesamt gibt es sehr viele Faktoren, die die Geschicke menschlicher Gesellschaften und Nationen beeinflussen. Und doch bestimmt nicht nur die Politik die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Landes, sondern haben umgekehrt wirtschaftliche Faktoren einen enormen Einfluss auf die jeweiligen politischen Verhältnisse.
Es ist jedenfalls auffällig, dass es jenen Ländern, die im internationalen Vergleich über geringere Rohstoffvorkommen verfügen, meist besser geht als den Hütern großer Schätze. In Europa etwa gibt es viel weniger Bodenschätze als in Afrika. »Ressourcenfluch« nennen Ökonomen dieses scheinbar paradoxe Phänomen. Dieser Fluch trifft vor allem Länder, die zum Zeitpunkt der Entdeckung ihrer Schätze keine demokratischen Strukturen haben und nicht industrialisiert sind. Ein gutes Gegenbeispiel dafür ist Norwegen: Das Land ist mit seinen reichen Ölvorkommen klug umgegangen, ohne Korruption und ohne sich auf diese Einkommensquelle allein zu verlassen. Aber Norwegen war auch bereits ein Industrieland mit stabilen demokratischen Verhältnissen und breiter Mittelschicht, als Mitte der siebziger Jahre die Ölquellen vor seiner Küste entdeckt wurden.
Warum sind gerade die reichen Länder oft so arm?
Als Paradebeispiele für diesen Ressourcenfluch gelten hingegen die Golfstaaten. Saudi-Arabien etwa verließ sich jahrzehntelang vollständig auf seinen Reichtum an Öl und Erdgas, alimentiert bis heute eine große Oberschicht (mit einer geradezu absurd hohen Zahl von »Prinzen«), lässt noch immer den Großteil anstrengender Arbeiten von Millionen Gastarbeitern erledigen und schloss obendrein die Hälfte der Bevölkerung, die Frauen, vom intellektuellen und wirtschaftlichen Leben komplett aus. Das ändert sich mittlerweile. Inzwischen dürfen auch saudi-arabische Frauen zur Schule gehen und berufstätig sein, vorausgesetzt, am Arbeitsplatz wird die strikte Geschlechtertrennung eingehalten. Solche Einschränkungen gehen allerdings mit volkswirtschaftlichen Kosten einher. Salopp gesagt: Wer Frauen das Autofahren verbietet, muss sich das leisten können! Und wie lange der Wüstenstaat sein spezielles Gesellschafts- und Wirtschaftssystem noch finanzieren kann, weiß keiner. Öl ist eine endliche Ressource. Die hohen Arbeitslosenraten in Saudi-Arabien, das ohne nennenswerte Industrie seiner Bevölkerung abseits
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