Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
von der Globalisierung zu profitieren und die alten Industrieländer sogar in Bedrängnis zu bringen? Letztlich bleibt vor allem eine andere, grundsätzliche Frage: Kann man Länder überhaupt »von außen« entwickeln? Daran darf man zumindest Zweifel hegen. Wenn sich mit Geld allein Armut abschaffen ließe, müsste ein großer Teil unseres Planeten anders aussehen.
Wenn Hilfe missbraucht wird
Wie sinnvoll Hilfe in Kriegsgebieten ist, darüber gab es schon vor 150 Jahren einen grundsätzlichen Disput: zwischen Henri Dunant, dem Schweizer Gründer des Internationalen Roten Kreuzes, und der weltberühmten britischen Krankenschwester Florence Nightingale, die in Kriegslazaretten gearbeitet hatte und später maßgeblich zur Reform der Gesundheitsfürsorge in England beitrug. Beide, die Britin und der Schweizer, waren von dem, was sie auf Schlachtfeldern gesehen hatten, gleichermaßen erschüttert. Sie kamen aber zu völlig unterschiedlichen Schlüssen. Dunant bewunderte Nightingale. Deshalb wollte er auch, dass sie ihn bei seinem Plan unterstützte, eine neutrale medizinische Hilfsorganisation zu gründen, um das Leid der Soldaten zu lindern. Anstatt begeistert zuzustimmen, wehrte Florence Nightingale entsetzt ab. Ihr Argument: So würden Kriege nur verlängert, weil die Regierungen ihre Fürsorgepflicht für die eigenen Soldaten damit auf Dritte abwälzen könnten. Die private neutrale Hilfe würde somit den Kriegsherren helfen. Wenn Kriege weniger kosteten, würden sie auch länger geführt, und am Ende würden noch mehr Soldaten sterben, als wenn ein Krieg schnell »ausblutet«. Zwei Moralisten mit großem humanitärem Engagement – und dann zwei so unterschiedliche Sichtweisen!
Die niederländische Journalistin Linda Polman 4 , die über viele Jahre die Arbeit von Hilfsorganisationen in afrikanischen Kriegsgebieten beobachtet hat, beschreibt anhand verschiedener Konfliktregionen, wie westliche Hilfe pervertiert und manipuliert werden kann. Auch sie kommt heute zu dem Schluss, dass ausländische Hilfe Kriege verlängern und damit das Leid letztlich sogar verschlimmern könne. Humanitäre Hilfe, so Polman, werde damit selbst zu einer Kriegswaffe. So wie umgekehrt Hungerkatastrophen oft nicht vom Himmel fallen, sondern »hausgemacht« sind.
An der großen Hungersnot in Äthiopien etwa, die 1985 das berühmte »Live Aid Concert« auslöste, war nicht nur das Wetter schuld (»biblische Dürre«), sondern mindestens genauso die damalige äthiopische Regierung mit ihrer marxistischen Landwirtschaftspolitik und ihrem Feldzug gegen aufständische Gebiete. Die Regierung in Addis Abeba wollte die rebellischen nördlichen Provinzen »trockenlegen«. Regierungssoldaten riegelten Dörfer ab, wüteten mancherorts aufs Schlimmste, vergewaltigten, töteten, verbrannten Felder und Vieh. Handelswege brachen zusammen, sodass die unter Ernteausfällen leidenden Gegenden keine Nahrungsmittel aus anderen Landesteilen beziehen konnten. Auch plante die Regierung, große Teile der Bevölkerung aus dem aufständischen Norden in den kontrollierten Süden zu treiben. Am Ende halfen internationale Organisationen dem äthiopischen Regime dabei, ein gigantisches Umsiedlungsprogramm durchzuführen. Bei diesen Deportationen starben Zigtausende. Als die französische Organisation Ärzte ohne Grenzen es wagte, dagegen zu protestieren und auch die Rolle der Hilfsorganisationen in Frage zu stellen, wurde sie von der äthiopischen Regierung des Landes verwiesen.
Von den politischen Hintergründen der äthiopischen Not war jedoch keine Rede, als die Popstars der achtziger Jahre dazu aufriefen, den hungernden Äthiopiern zu helfen. Dieser Teil der Geschichte wurde praktisch komplett ausgeblendet, während der berühmte Hilfssong »Do they know it’s Christmas?« die Hitparaden stürmte. Der Titel dieses Songs war übrigens auch etwas eigenartig. Äthiopien ist ein sehr christlich geprägtes Land. Man durfte also getrost davon ausgehen, dass die Äthiopier sehr genau wussten, dass Weihnachten ist.
Der »Ressourcenfluch«
Dass reichhaltige Bodenschätze für ein Land mehr Fluch als Segen sein können, zeigt sich in vielen Entwicklungsländern, insbesondere in Afrika, geradezu beispielhaft, fast wie aus einem volkswirtschaftlichen Lehrbuch. Wenn eine Regierung unmittelbarer Profiteur einer großen Einkommensquelle ist, die von ihr auch zentral verwaltet und kontrolliert wird, ist sie nicht auf ein diversifiziertes, also vielfältiges Wirtschaftsleben
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