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Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
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immer noch den Topplatz neben den USA .
    Spiel der Kräfte
    Was macht Staaten oder Staatengemeinschaften mächtig? Ganz vorneweg ist das nach wie vor die militärische Stärke. Auch die schiere Größe und die Bevölkerungszahl sind wichtige Faktoren. Größe allein macht es aber nicht: Australien zum Beispiel ist sehr groß, aber in der Weltpolitik sehr unbedeutend (die »Aussies« mögen mir verzeihen). Dann ist natürlich die Wirtschaftskraft ein entscheidendes Kriterium, dazu gehört auch, ob man über wichtige Rohstoffe verfügt, die andere Länder dringend haben wollen. Die Macht Russlands etwa basiert auch auf seinen großen Gasvorkommen, die wir in Europa brauchen. Amerika wiederum hat mit dem Dollar nach wie vor die weltweite Leitwährung, die in den Devisendepots zahlreicher Länder lagert. Etwa bei den Chinesen, deren Zentralbank über enorme Dollarbestände verfügt und die deshalb kein Interesse daran haben, dass der Dollar plötzlich extrem schwach wird. Und schließlich kann auch der kulturelle Einfluss eines Staates ein Zeichen seiner Macht sein. Die angelsächsische Kultur, mit ihrer Musik und ihren (Hollywood-)Filmen ist überall auf der Welt stark vertreten, Englisch ist nach wie vor Weltsprache.
    Vor dem Hintergrund dieser Faktoren betrachten die Neorealisten die Weltpolitik als ein Spiel der Kräfte. Und stellen dann zum Beispiel nüchtern fest, dass Frankreich 2011 nicht nur aus humanitären Gründen einen internationalen Militäreinsatz in Libyen vorantrieb, um den Aufständischen dort zu helfen – dass Muammar al-Gaddafi ein übler Diktator war, hatte Franzosen, Amerikaner und den Rest der Welt in den vierzig Jahren zuvor nicht gestört. Natürlich ging es auch um Libyens Ölquellen. Unter einem moralischen Blickwinkel mag man es heuchlerisch finden, dass Aufständischen (nur) dann geholfen wird, wenn sie etwas zu bieten haben. Neorealisten sehen das nüchtern – sie bewerten das nicht, sondern stellen es lediglich fest, um das Verhalten von Staaten zu erklären.
    In Deutschland kommt eine solch nüchtern-realistische Beschreibung von »Realpolitik« meist aber nicht gut an. Nachdem wir zwei Weltkriege angezettelt haben, hat sich bei uns eine eher moralische Sichtweise auf die internationale Politik etabliert. Was keineswegs verkehrt ist, manchmal aber zu eigentümlichen Reaktionen führt. Diese Erfahrung musste Ex-Bundespräsident Horst Köhler machen, als er im Mai 2010 in einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte: Eine Exportnation wie die Bundesrepublik müsse wissen, »dass notfalls auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege«. Ein Sturm der Entrüstung brach los – Militär für wirtschaftliche Interessen einzusetzen? Das geht ja gar nicht! Am Ende war die Empörung über dieses Interview wohl sogar der Auslöser für Horst Köhler, als Bundespräsident zurückzutreten.
    Tatsächlich hatte er aber eigentlich nur eine schlichte Tatsache beschrieben: Ein Großteil unseres Exports geht über Seewege. Die Bundesmarine sichert am Horn von Afrika die internationale Schifffahrt vor den Angriffen somalischer Piraten, und da wird auch scharf geschossen. Sie sichert also diesen wichtigen Handelsweg und damit deutsche Wirtschaftsinteressen militärisch ab. Nur so laut und deutlich sagen sollte man das als deutscher Politiker wohl besser nicht …
    Einflusssphären und Stellvertreterkriege
    Betrachtet man die Welt als ein Spiel der Kräfte zwischen Macht und Gegenmacht, lassen sich viele Konflikte und ihre Folgewirkungen besser verstehen. Wie schon gesagt: Für Idealisten ist das hartes Holz, weil das unendliche Leid, das Kriege über Menschen bringt, dabei aus dem Blickfeld gerät. Die Welt erscheint vielmehr wie ein Schachbrett – sehr abstrakt und damit auch zynisch. Leider aber auch realistisch.
    Zwei Beispiele: Als der frühere US -Präsident George Bush in den Krieg gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein zog, begründete er das nicht nur mit den Massenvernichtungswaffen, über die Hussein angeblich verfügen würde. Er sprach auch davon, dass Amerika Demokratie und Frieden in die Welt tragen wolle. (Man konnte ihm durchaus abnehmen, dass er selbst daran glaubte – seinem Beraterstab allerdings weniger.) Saddam Hussein war ohne Frage ein furchtbarer Diktator, der mit Giftgas gegen aufständische Minderheiten vorgegangen war und Nachbarländer überfallen hatte. Er war aber auch ein Gegengewicht zu den Mullahs im Iran.

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