Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
Evangelen waren). Saudi-Arabien ist sunnitisch und unterstützt die Aufständischen. Die sunnitische Türkei übrigens auch. Iran ist schiitisch und unterstützt das Assad-Regime (das selbst auch zu einer schiitischen Glaubensgruppe gehört, den Alawiten). Die schiitische Hisbollah wiederum hat sich im Libanon direkt an der Grenze zu Israel postiert – sie ist sozusagen der militärische Vorposten der Israel-Feinde. Unterstützt wurden sie seit jeher von Syriens Diktator Assad. Für Iran ist das strategisch wichtig, so kann es Israel direkt an seiner Grenze militärisch bedrohen.
So treffen sich hier lauter »Interessenvertreter« aus lauter unterschiedlichen Gründen. Nicht zu vergessen: Russland. Syrien gehörte zu Zeiten des Ost-West-Konflikts zur sowjetischen Einflusszone; es gibt also eine lange Tradition der Kooperation, zu der auch gehört, dass Syrien ein wichtiger Abnehmer der russischen Rüstungsindustrie ist. Hinzu kommen geopolitische Interessen. Russland hat keinen eigenen Zugang zum Mittelmeer und damit zum Nahen Osten. Seine Marine nutzt syrische Häfen. Für das große Spiel in der Weltpolitik ist das ein wichtiger strategischer Aspekt.
Kurz zusammengefasst: Für den syrischen Diktator Assad sind vor allem Iran und Russland. Für die Aufständischen sind vor allem Saudi-Arabien, die Türkei, der Westen und islamistische Terrorgruppen. Wozu all die komplizierten Ausführungen, wer welchen Plan verfolgt? Weil es in der internationalen Politik immer um vielfältige Interessen geht und die Situation niemals, wirklich niemals, schwarz oder weiß ist.
Mit Blick auf Syrien kann einen das in tiefe Depression stürzen. Schon jetzt (Sommer 2013) sind dort über 70000 Menschen gestorben. Und egal, wer am Ende »gewinnt«: Es wird im Grunde nur Verlierer geben. Die syrische Stadt Aleppo war einmal eine der schönsten Städte der Welt, ein Weltkulturerbe, eine lebendige, quirlige Handelsstadt. Als eine der Frontstädte dieses Krieges wird sie bald in Schutt und Asche liegen. Syrien wird vermutlich dem gleichen Schicksal entgegengehen wie der Libanon, wo 15 Jahre lang ein Bürgerkrieg herrschte, der bis heute nicht wirklich beendet ist.
Hätte man das syrische Drama verhindern können? Schwer zu beantworten. Ganz am Anfang, als der Aufstand gegen Assad losbrach, hätte es vielleicht noch Möglichkeiten gegeben. Der Assad-Clan ist eine brutale Herrschaftsclique, der Vater von Bashar al-Assad war ein Massenmörder. All die netten Bilder in bunten Blättern, in denen die ach so westlich aussehende schöne Ehefrau des Diktators von naiven Boulevardjournalisten präsentiert wurde wie ein Fotomodell, konnten darüber nie hinwegtäuschen. Der Aufstand der syrischen Opposition war in jeder Hinsicht berechtigt. Auf der anderen Seite war Assad ein relativ »berechenbarer« Diktator, ähnlich wie Saddam Hussein. Seine Herrschaft war nach innen brutal, dabei aber vergleichsweise »unreligiös«. Christliche und jüdische Minderheiten in Syrien standen unter seinem Schutz, der Islamismus war nicht seine Sache. Damaskus war eine westlich geprägte Stadt, mit zahlreichen Clubs und Restaurants, in denen die (wohlhabende) Jugend Syriens einen relativ freien Lebensstil pflegte. Israel fühlte sich von Syrien zwar immer bedroht – aber diese Bedrohung dürfte unter islamistischen Gruppen noch gewaltig zunehmen, sollten sie am Ende in diesem Krieg siegen. Ob Israel also an Sicherheit gewinnt, wenn Assad stürzt, ist mehr als fraglich.
Am besten wäre es vielleicht gewesen, wenn die internationale Gemeinschaft gleich am Anfang so massiven Druck auf Assad ausgeübt hätte, dass er sich gezwungenermaßen mit der Opposition an einen Tisch gesetzt und ernsthaft über politische Reformen verhandelt hätte. Wenn er darauf verzichtet hätte, Demonstrationen blutig niederzuschlagen, und stattdessen die Oppositionsgruppen geschickt in seine Regierung eingebunden hätte, etwa mit einer All-Parteien-Allianz. Das hat er nicht getan, und es hat ihn auch niemand ernstlich dazu angehalten. Denn dafür hätten all die anderen Mächte mit ihren jeweiligen Interessen und Perspektiven an einem Strang ziehen müssen. Genau das ist in der internationalen Politik aber höchst selten der Fall. Diese Erkenntnis ist bitter. Aber sie entspricht leider auch genau dem, worauf die »Neorealisten« verweisen, wenn sie Weltpolitik betrachten: Es geht nicht um Moral, sondern um Macht und strategische Interessen.
Stehen wir am Beginn eines chinesischen
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