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Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
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Tourismus in der Gemeinde anzukurbeln. Als er das seinen Parteikollegen fröhlich vorschlug, musste er feststellen, dass sich die Begeisterung in Grenzen hielt. Parteifreundin X gab ihm deutlich zu verstehen, dass sie nicht bereit war mitzumachen, wenn das neue Vorhaben ihr eigenes Projekt, den Bau eines neuen Spielplatzes, gefährdet – und für beides sei nun mal kein Geld da. Parteifreund Y wiederum wies ihn darauf hin, dass in der hübschen Siedlung am Waldrand vor allem CDU -Wähler wohnen, und die wären wohl kaum begeistert, wenn das Verkehrsaufkommen vor ihrer Haustür steigt. Und Parteifreund Z gab zu bedenken, dass über den Feldweg viele Kröten wandern. Wenn aus dem Weg eine geteerte Straße würde, auf der Autos schneller fahren, würde das die Kröten gefährden. »Und dann machen uns die Grünen die Hölle heiß, das können wir jetzt vor der Kommunalwahl echt nicht gebrauchen.« Unser fiktiver tapferer Gemeinderat brauchte zwei Jahre geduldiger Überredungskünste und Deals (»Ich helf dir beim Spielplatz, wenn du mir beim Waldweg hilfst«), bis die Straße doch noch geteert wurde. Aus dem Waldparkplatz wurde allerdings nichts.
    Handwerk, Bauchgefühl und der »Faktor Mensch«
    Zugleich hat er viel über Verwaltungsvorschriften gelernt und darüber, wie man Fördermittel beim Land oder bei der EU erbettelt. Solche Erfahrungen sind eine Menge wert. Politik besteht in der Praxis nicht darin, tolle Ideen zu haben. Politik besteht darin, Teile dieser Ideen durchzusetzen, indem man eine Mehrheit davon überzeugt und unterschiedliche Interessen ausgleicht. Dafür muss man unendlich viel diskutieren, vielen nervigen Leuten zuhören, Unsympathen ertragen, sich womöglich mit ihnen verbünden, außerdem muss man im Regen auf Einkaufsstraßen rumstehen und sich überwinden, Passanten anzuquatschen, an Türen klingeln, die zugeknallt werden, kaum outet man sich als Politiker, der gerne mit seinen Wählern reden würde. Wer das alles nicht schon jahrelang gemacht hat, für den kann es ein böses Erwachen geben, wenn er plötzlich in der Politik landet. Hinzu kommt der Faktor Mensch. Man braucht Instinkt und Bauchgefühl. Wer als Politiker prominent werden will, hat die besten Chancen, indem er sich abgrenzt und Konflikte sucht, anstatt den braven Parteisoldaten zu geben. Mit Widerspruch kommt man in die Medien. Die kurze steile Karriere des Karl-Theodor zu Guttenberg nahm gewaltig an Fahrt auf, als er sich als Wirtschaftsminister gegen das gesamte Kabinett einschließlich Kanzlerin stellte. Es ging um die Frage, ob der Autobauer Opel mit Staatsgeldern gerettet werden soll oder nicht. Guttenberg ließ sogar durchsickern, dass er mit Rücktritt gedroht habe. Das verschaffte ihm ein enormes Profil. Aber er hatte mit dieser Illoyalität auch eine Reihe einflussreicher Menschen vor den Kopf gestoßen. Hinzu kam der Neid auf seinen Erfolg, den er vor allem einer guten Presse und seinem charismatischen Auftreten samt Gattin verdankte. Manch einer hat damals mit den Zähnen geknirscht, wenn er zusehen musste, wie »Gutti« bejubelt wurde. Als seine Erfolgskurve nach unten ging, war keiner mehr da, der ihm half.
    Auch Politiker wie der Ex-Umweltminister Norbert Röttgen oder Ex-Bundespräsident Christian Wulff haben sich Feinde gemacht mit ihrer Profilierung auf Kosten von Parteikollegen. Das geht gut, solange man (Wahl-)Erfolge hat. Aber irgendwann kann es sich rächen. Es gibt Beispiele für andere Politiker, die gerade aus ihrer innerparteilichen Beliebtheit Stärke bezogen, die sogar von den Politikern gegnerischen Parteien gemocht wurden, und damit manches im Stillen erreichen konnten. Der inzwischen verstorbene frühere SPD -Verteidigungsminister Peter Struck ist dafür ein Beispiel. Er galt als rau, aber herzlich und vor allem: als verlässlich. Während der Großen Koalition von SPD und CDU war er Fraktionschef, und es entstand sogar eine persönliche Freundschaft zwischen ihm und seinem Kollegen von der CDU , dem Unionsfraktionschef Volker Kauder. Man wurde per Du – und konnte viele Konflikte abfedern, weil man sich gegenseitig vertraute, trotz aller politischen Meinungsunterschiede. Insofern ist es in der Politik wie im wahren Leben: Nett sein allein bringt einen nicht weiter. Zwar haben die Egoshooter oft kurzfristig mehr Erfolg, manchmal auch langfristig, zumindest wenn sie wirklich gut sind, in dem, was sie tun, wenig Fehler machen und entschlossen agieren. Aber für die weniger Hochbegabten empfiehlt es

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