Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
sich durchaus, nicht bloß unanständig und intrigant zu sein. Wer Freunde hat, ist im Ernstfall weniger allein. Und wenn man Politiker fragt, was sie an anderen Politikern am meisten schätzen, dann geht es immer wieder um »Verlässlichkeit«.
Auch in der internationalen Politik ist das so. Ich habe Angela Merkel in einem persönlichen Gespräch gefragt, wie sie den Staatsführer eines anderen wichtigen europäischen Landes einschätzt. Um wen es da ging und was sie genau gesagt hat, würde ich hier nicht öffentlich machen. Das wäre ein Verstoß gegen das Gebot der Vertraulichkeit, unter dem solche Hintergrundgespräche stattfinden. Aber so viel sei verraten: »Er ist verlässlich«, war ihr wichtigster Punkt. Man trifft eine Absprache, und der andere hält sich daran, selbst wenn es für ihn unangenehm wird. Und dann ist es auch egal, ob man sich persönlich sympathisch ist oder welche unterschiedlichen Standpunkte man hat. In der Politik geht es um Verhandlungen und Absprachen.
Wer in der Politik nach ganz oben will, muss kämpfen können und auch kühl lächelnd Leute absägen, wenn sie einem im Weg stehen. Man muss auch in der Lage sein, sein Fähnchen nach dem Wind zu halten, wenn man merkt, dass sich der Wind gedreht hat. Aber man sollte doch nicht zu viele Weggefährten brutal hinters Licht geführt haben. Zumindest muss es noch genauso viele geben, die einem treu ergeben sind. Wie man diese Balance hält zwischen Freund und Feind, dafür braucht es den berühmten Machtinstinkt. Den hat man – oder man hat ihn eben nicht.
Bei all dem Stress: Macht regieren trotzdem Spaß?
Der frühere Außenminister und Grünen-Chef Joschka Fischer hat mal gesagt: Kanzler sein, das sei die »Todeszone« der Politik. Der Begriff » Todeszone « kommt eigentlich aus der Bergwelt und meint den Bereich auf den Achttausendern, wo nichts mehr wächst, weil der Sauerstoff knapp und die Luft extrem dünn ist. Dort weht ein eisiger Wind, und jeder Fehltritt führt sofort zum tödlichen Absturz. Wer sich dort hintraut, muss ein ziemlich furchtloser Extrembergsteiger sein, der genau diesen Nervenkitzel sucht. Und damit vergleicht der Politiker Fischer das Bundeskanzleramt: Nach so hoch oben kämen nur die Stärksten. Die die Last ertragen, die dann auf ihren Schultern liegt; die sich durch harte politische Kämpfe geboxt und gegen Feinde behauptet haben. Dort oben, wo die Luft so dünn sei, würden nur wenige überleben. Als er selbst die politische Karriereleiter hochkletterte, sei er an lauter Politikern vorbeigekommen, die es nicht geschafft hatten, die »tot und festgefroren in ihren Seilen hingen«. Und diejenigen, die es nach ganz oben geschafft haben, müssen natürlich mit der Gefahr leben, jederzeit wieder abzustürzen – beziehungsweise gestürzt zu werden. Das ist nicht nur im Kanzleramt so, sondern in allen politischen Spitzenämtern; auch für Ministerpräsidenten oder Parteichefs kann die Luft sehr dünn werden. Aber ganz oben, wenn es um Kanzleramt und Kanzlerkandidatur geht, weht der Wind noch etwas eisiger. Und das hat eben nicht nur mit der Last der Verantwortung zu tun, sondern auch damit, was man an Kämpfen bestehen und an Kritik aushalten muss.
Höhenrausch in der Todeszone
Gerhard Schröder musste gegen Oskar Lafontaine kämpfen. Angela Merkel hat auf dem Weg nach oben Helmut Kohl vom Gipfel geschubst, weil sie sich als Erste traute, dem in eine Parteispendenaffäre verwickelten Altkanzler zu sagen, dass es auch ohne ihn geht und er der Partei nicht länger schaden soll. Das muss man erst mal bringen. Später hat sie ihren Parteikonkurrenten Friedrich Merz am Wegesrand zurückgelassen, und geschickt beförderte sie Christian Wulff zum Bundespräsidenten, wo er ihr nicht mehr gefährlich werden konnte. Kein Politiker kommt glatt und harmonisch nach ganz oben. Allerdings: Weder Schröder noch Merkel noch ihr aktueller Gegner Peer Steinbrück wären dort angekommen, wo sie sind, wenn sie dafür innerhalb ihrer Partei keine Mehrheiten gehabt hätten. Und die Parteimehrheiten wiederum orientieren sich stark daran, was die Wähler wohl wollen. »Wer gewinnt für uns Wahlen?«, auf diese Frage läuft es immer wieder hinaus, und diese Frage steht auch hinter jedem Sturz vom Gipfelkreuz. Wenn die eigenen Leute nicht mehr daran glauben, dass man Wahlen gewinnt, dann kappen sie die Seile und stoßen einen herunter. Ohne mit der Wimper zu zucken.
Das, was Spitzenpolitiker »wegstecken«, hinterlässt natürlich
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