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Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
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Landtagswahl – und wenige Tage später auch das Amt als Umweltminister, Angela Merkel persönlich warf ihn raus.
    Der Journalist Jürgen Leinemann beobachtete über viele Jahrzehnte in Bonn und Berlin Politiker aus allernächster Nähe. Und er meint, dass fast alle Spitzenpolitiker unter einer Art »Höhenrausch« 2 leiden. Im Gebirge ist die gefährliche Höhenkrankheit für Bergsteiger etwas sehr Unangenehmes. Manchmal äußert sie sich aber auch als Höhenrausch, dann ist der Bergsteiger eigentlich sehr krank, fühlt sich aber euphorisch und großartig, hat Glücksgefühle und Halluzinationen. Leinemann erklärt, so erginge es vielen Politikern. Sie seien wie im Rausch, ständig unter Strom und süchtig nach dem Gefühl von Macht und nach der Aufmerksamkeit, die ihnen ständig zuteil wird. Sie sind daran gewöhnt, dass dauernd Kameras auf sie gerichtet sind, dass man ihnen zuhört, Tausende in einer Halle, Millionen vor den Fernsehern hängen an ihren Lippen. Und selbstverständlich gewöhnt man sich in solch einer Position auch daran, dass einem viele Mitarbeiter zur Verfügung stehen, ein ganzer Tross, der immer um einen herum ist. Selbst das Autofahren verlernt man in hohen politischen Ämtern, denn man wird natürlich immer gefahren. Das Gefühl, im Mittelpunkt zu stehen, wichtig zu sein, Entscheidungen zu treffen – dieses Gefühl macht süchtig. Es ist auffällig, wie viele Politiker von »Entzugserscheinungen« sprechen, wenn sie aus der Politik ausscheiden. Der frühere Bundespräsident Johannes Rau hat mal gesagt, Politik sei wie Nüsse knabbern: Wenn man einmal damit anfange, könne man nicht mehr aufhören. Und wer ganz oben auf den Gipfeln steht, will offenbar nie wieder heruntersteigen. Vielleicht, weil verglichen damit das Leben im Tal öde erscheint.
    Wer darüber voller Häme lästert, sollte allerdings für eine Sekunde innehalten und sich fragen, warum weltweit Millionen Menschen davon träumen, richtig groß Karriere zu machen – oder bei einem »Superstar«-Contest zu gewinnen …
    1 Herlinde Koelbl: Spuren der Macht. Die Verwandlung des Menschen durch das Amt. Eine Langzeitstudie; München 2002, Knesebeck-Verlag
    2 Jürgen Leinemann: Höhenrausch – die wirklichkeitsleere Welt der Politiker; München 2004, Blessing Verlag

Wahlen in Deutschland: Wie verhältnismäßig ist eine Mehrheit?
    »Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus«, steht im Grundgesetz. Das bedeutet: Es wird gewählt, und die Stimmen werden möglichst gerecht auf Abgeordnete umgerechnet. Das ist manchmal gar nicht so leicht. Nehmen wir mal an, es gebe drei stimmberechtigte Bürger, zwei Parteien und zwei Abgeordnetensitze. Wenn jetzt zwei Leute Partei A wählen und einer Partei B – was ist dann gerecht:
Partei A kriegt alle Sitze (weil sie die Mehrheit der Stimmen hat)?
Oder: Partei A kriegt einen Sitz und Partei B kriegt auch einen Sitz (damit die Gegenmeinung ebenfalls in der Regierung vertreten ist)?
    Nimmt man jetzt viele Millionen Stimmen und 598 zu vergebende Sitze im Bundestag, wird es nicht einfacher …
    Ist Gerechtigkeit also höhere Mathematik? So ganz genau will man es ja eigentlich nicht wissen. Aber grundsätzlich kann man sagen: Das Wahlrecht ist eine mathematisch faszinierende Angelegenheit. Von der Organisation der Wahl und der Rechenmethode hängt nämlich ab, wie gerundet wird. Und das entscheidet, welche Partei vielleicht den einen, alles entscheidenden Sitz mehr bekommt. Für uns normale Wähler ist zunächst mal wichtig: Für den Bundestag darf in Deutschland jeder Bürger ab achtzehn wählen, bei Landtagen, Bürgermeistern usw. oft schon ab sechzehn. Die einzigen Ausnahmen sind Menschen, die wegen schwerster geistiger Behinderungen keine Wahlentscheidung treffen können. Und in besonders schweren Fällen und auf richterliche Anordnung dürfen auch politische Straftäter keine Stimme abgeben.
    Die Bundestagswahl selbst ist grundsätzlich ziemlich einfach, trotzdem kann man mit »Erststimme« und »Zweitstimme« durcheinanderkommen. Die Hälfte der Abgeordneten wird mit der »Erststimme« von den Bürgern direkt gewählt. Diese Abgeordneten treten in einem Wahlkreis an, zum Beispiel im Wahlkreis Bitburg in der Eifel, und wer dort die Mehrheit der Stimmen bekommt, landet direkt im Bundestag – und das auch in jedem Fall, unabhängig davon, wie erfolgreich seine Partei ist. Das ist das Direktmandat. Dabei kann übrigens sogar ein Politiker gewinnen, der keiner Partei angehört, weil er in seiner

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