Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
erklären würden, dass sie aus Deutschland austreten wollen?« Tja, was würden wir davon halten? Panzer am Tegernsee aufrollen lassen? Abgesehen davon, dass die Bayern ganz gute Gründe dafür haben, lieber zum großen Deutschland zu gehören als ein eigener winziger Ministaat zu sein, ist das letztlich eine Frage von Freiheit: Sie haben ihre eigene gewählte Landesregierung, niemand verbietet Oktoberfest und Lederhosen, und es gibt auch keine Invasion von »Saupreißn«, die sich die leitenden Stellen in Verwaltung und Wirtschaft sichern und lukrative Einnahmequellen abschöpfen, während das bayerische Volk darbt. Der bayerische Ministerpräsident darf gegen Berlin poltern, so viel er will, und im Bayerischen Rundfunk wird eifrig gebayert, Moderatoren mit Dialekt sind willkommen. »Mia san mia«, und das ist auch völlig in Ordnung. Der Rest der Republik stört sich nicht daran. Man lästert ein bisschen übereinander, in deutschen Landen, aber letztlich gilt im föderalen Verbund die kölsche Devise: »Jede Jeck ist anders.« Und niemand hat die Absicht, Panzer am Tegernsee auffahren zu lassen – solange die Bayern brav am föderalen Finanzausgleich teilnehmen und ordentlich zahlen (das war jetzt natürlich nur ein Scherz – zum Thema Finanzausgleich kommen wir aber später noch, da hört nämlich für die Bayern der Spaß inzwischen auf).
Der Föderalismus versucht sich in einer Abwägung von regionaler Freiheit und gesamtstaatlicher Vernunft. Deutschland ist als »Bundesrepublik« also ein föderaler Bund (eine Gemeinschaft) verschiedener Deutschländer. Insgesamt sind es 16 Bundesländer, darunter drei sogenannte Stadtstaaten, die nur aus je einer Stadt bestehen: Berlin, Hamburg und Bremen. Jedes Bundesland darf und soll möglichst viel selbst regeln und beschließen. Dafür gibt es Landesregierungen und Landesparlamente. Die Regierungschefs der Länder sind die Ministerpräsidenten, in den Stadtstaaten heißen sie Bürgermeister. Diese Bezeichnungen führen gelegentlich zu Verwirrung, denn in Zentralstaaten wie Großbritannien oder Frankreich heißen die obersten Regierungschefs Ministerpräsident beziehungsweise Premierminister. »Kanzler« ist hingegen eine Bezeichnung, die nur in Deutschland und Österreich für den Regierungschef des Gesamtstaats verwendet wird. In Großbritannien gibt es zwar den Schatzkanzler, der ist aber nur der Finanzminister. Der Begriff »Kanzler« bezeichnete ursprünglich höhere Beamte. Irgendwie passt das, schließlich betrachten wir unsere Kanzler auch eher als fleißige Beamte und nicht als glamouröse Machthaber. Ein »Premier« macht da sprachlich etwas mehr her. Um es mit Loriot zu sagen: Anderswo ist mehr Lametta.
Von oben nach unten und umgekehrt
Die Bundesländer sind wiederum – Föderalismus im Kleinen – in weitere Untereinheiten geteilt: Bezirke, Kreise, Gemeinden. Da Probleme möglichst direkt vor Ort gelöst werden sollen, gibt es dort lauter Miniparlamente. Auf kommunaler Ebene (Gemeinderat, Stadtrat, Kreistag) sind das oft sogenannte Feierabendparlamente, weil die Abgeordneten Politik in ihrer Freizeit machen und ansonsten einem normalen Beruf nachgehen. Sie übernehmen diese Aufgaben oft sogar ehrenamtlich, also unbezahlt. Die Grundidee ist, dass möglichst viel auf der niedrigsten und damit bürgernahsten Ebene geklärt werden soll. Denn warum sollte man in Berlin eine Ahnung haben, was gut für Köln ist? Wie sie ihren Karneval feiern wollen, wissen die Kölner doch am besten selbst.
Eine Stadt sollte also idealerweise alle Entscheidungen selbst treffen. Das ist natürlich nicht immer möglich oder sinnvoll. Man kann Fähigkeiten und Aufwand bündeln, wenn nicht jede Stadt zum Beispiel ihre Bahngleisbreite selbst bestimmt oder sich kunterbunte Polizeiuniformen nähen lässt und eigene Polizeigesetze erlässt. In Gummersbach wird links gefahren, in Magdeburg rechts? Vieles ist auf einer höheren Ebene besser und sinnvoller zu lösen, zumal wenn man eine Nation sein will, in der die Lebensverhältnisse nicht komplett unterschiedlich sind, sondern im Prinzip einheitlich. Wenn zum Beispiel in NRW nur 10 Prozent Einkommensteuer bezahlt werden muss und in Sachsen 70 Prozent, wenn jedes Bundesland eine eigene Rentenversicherung und eine eigene Armee hätte, ahnt man, wo das hinführt. Da gäbe es dann sehr schnell keine gemeinsame (und starke) Nation mehr.
Darum gilt die »Subsidiarität« (vom lateinischen Wort subsidium, Hilfe ): Wenn eine
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