Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
zudem weder von der einen noch von der anderen im Parlament sitzenden Partei vertreten. Kleinere Parteien schaffen es ja gar nicht erst ins Parlament, obwohl auch sie von vielen Leuten gewählt wurden. Ihre Stimmen gehen praktisch verloren. Generell ist es in einem Mehrheitswahlsystem schwieriger, spezielle Anliegen politisch deutlich zu machen. Dass in Deutschland zum Beispiel der Umweltschutz schon lange in allen Parteien eine wichtige Rolle spielt, hängt auch damit zusammen, dass eine Partei wie die Grünen so schnell so viel Erfolg haben konnte. In einem Mehrheitswahlsystem haben neue, kleine Parteien hingegen kaum eine Chance. Was auch ein Vorteil sein kann: Extreme Parteien wie zum Beispiel die Neonazis schaffen es in einem Land mit Mehrheitswahlrecht praktisch nie ins Parlament. Sie sind vielleicht trotzdem da, aber man »sieht« sie nicht. Das kann oberflächlich betrachtet angenehm sein, mit manchen gesellschaftlichen Gruppen muss man sich dann nicht so intensiv beschäftigen.
Trotzdem: Das »personalisierte Verhältniswahlrecht« in Deutschland macht das Regieren zwar manchmal anstrengender, aber viele Wähler empfinden dieses System als gerechter. Wenn im Bundestag jedoch dreißig verschiedene Miniparteien wären, dann könnte man sich auf gar nichts mehr einigen, alle würden sich gegenseitig blockieren, das Land wäre nur noch schwer regierbar, und die Bürger würden sich vom Parlament möglicherweise entnervt abwenden. So ist das ja in den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts gewesen, in der Weimarer Republik. Am Ende ist diese erste deutsche Republik auch an ihren eigenen Blockaden gescheitert. Dass so etwas nicht noch einmal passieren kann, war eines der Hauptanliegen, als die Bundesrepublik 1949 gegründet wurde. Und auch deshalb ist das Wahlrecht in Deutschland so kompliziert, mit einer Mischform und der 5-Prozent-Hürde – weil man es eben besonders gut machen wollte!
Nach dem Ankreuzen folgt das Auszählen – aber für wie viele Stimmen bekommt man dann wie viele Parlamentssitze? Das hängt vom Wahlverfahren ab (also vor allem: von der Regel, nach der gerundet wird). Wer es genau wissen will: Auf www.wahlrecht.de/verfahren/anschaulich/ gibt es eine Übersicht der verschiedenen Berechnungsmöglichkeiten und ihrer Konsequenzen. Letztlich ist jedes Verfah ren für den einen Wahlteilnehmer besser, für den anderen schlechter. Man weiß aber immer erst hinterher, für wen. Insofern ist es dann doch einigermaßen gerecht. Wer gern knobelt, findet unter de.wikipedia.org/wiki/Sitzzuteilungsverfahren und www.wahlrecht.de/verfahren Übersichten mit mathematisch besonders interessanten Beispielen.
Die Berechnung erfolgte ab 1987 nach dem Hare-Niemeyer-Verfahren, seit Januar 2008 wird das Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren angewendet, das soll noch gerechter sein, also den Wählerwillen noch präziser abbilden. Anfang 2013 wurde das Wahlrecht auf Anordnung des Bundesverfassungsgerichtes weiter verfeinert. Doch das sind Details, die allenfalls die Teilnehmer eines Mathe-Leistungskurses begeistern.
Übrigens: Scheidet ein Abgeordneter aus dem Bundestag aus, wird er durch einen »Nachrücker« ersetzt. Das gilt jedoch nicht für Überhangmandate. Sie entfallen ersatzlos. Dadurch können sich überraschend die Mehrheitsverhältnisse ändern. Es soll ja spannend bleiben!
Manchmal bekommen die kleineren Parteien auch sogenannte Leihstimmen von den größeren. Die FDP zum Beispiel sagt vor der Wahl, dass sie mit der CDU regieren will. Die CDU wiederum muss damit rechnen, dass sie selbst nicht genug Stimmen bekommt, um allein zu regieren, sondern dafür die FDP brauchen wird. Damit das klappt, muss es die FDP aber wenigstens in den Bundestag schaffen, also über 5 Prozent der Stimmen bekommen. Um das zu erreichen, können CDU -Wähler ihr Kreuz bei der FDP machen, die CDU verleiht also Stimmen an die FDP , damit man später gemeinsame Sache machen kann und als Koalition an die Macht kommt. Der Schuss kann aber auch nach hinten losgehen, wie bei der Wahl 2005: CDU / CSU plus FDP hatten immer noch nicht genug Stimmen, sodass es zu einer großen Koalition von CDU / CSU und SPD kam – und die Leihstimmen der CDU -Wähler für die FDP waren verloren.
Das Internet hilft vor und nach der Wahl
Vor der Wahl kann man sich übrigens gut im Internet informieren, etwa bei der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Sie gehört zum Innenministerium und hat die Aufgabe, unparteiisch über Politik in
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