Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
den geburtenstarken Jahrgängen gehörten und es heute weniger Kinder gibt, ist der Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt größer geworden, die Ausstattung von Schulen und Unis aber zugleich vielerorts schlechter. Und ob die Schüler heutzutage nach all den Reformen und Gegenreformen wenigstens »schlauer« sind, als wir es vor zwanzig oder dreißig Jahren waren? Aus Sicht der Wirtschaft offenbar nicht, die Unternehmen klagen vielmehr, das Wissen von Schulabgängern nehme eher ab. Ob das so stimmt oder nicht – auf jeden Fall kommt es heute noch mehr als früher darauf an, möglichst viele junge Leute möglichst gut auszubilden. Aber was muss dafür passieren, und wie soll man’s bezahlen? Schlag worte und Konzepte sind allgegenwärtig: Verkürztes Gymnasium, jahrgangsübergreifendes Lernen, Gesamtschulen, Privatschulen, Unigebühren, Lehrplanwirrwarr – es werden viele Ideen diskutiert und erprobt, aber was nun wirklich Erfolg bringt, ist weiter umstritten. Reformen im Hauruck-Verfahren, wie die plötzliche Verkürzung der Gymnasialzeit auf acht Jahre, erweisen sich als schwierig, mit heftigen Nebenwirkungen zu Lasten der Kinder. Zugleich müssen Schulen heute den veränderten Lebensverhältnissen gerecht werden. Anders als zu meiner Schulzeit, als die meisten von uns mittags nach Hause gingen, werden heute Ganztagsschulen benötigt. Auch das verändert die Schullandschaft und kostet natürlich zusätzlich Geld. Zugleich gibt es immer mehr auch normalverdienende Eltern, die bereit sind, für Privatschulen viel Geld zu zahlen. Das gab es so vor zwanzig Jahren noch nicht.
Apropos Geld: Trefflich streiten lässt sich auch über Studiengebühren. Noch so ein föderales Dauerthema, das in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt wird. Bis heute ist es so, dass die Mehrheit der Studenten aus (besserverdienenden) Akademiker-Haushalten kommt. Befürworter von Studiengebühren argumentieren deshalb, dass es gerechter und der Chancengleichheit förderlicher wäre, wenn mehr Geld in Grundschulen und kostenlose Kitas gesteckt wird, anstatt Kita-Gebühren zu erheben, während der »Elite« das kostenlose Studium von der Allgemeinheit finanziert wird. So zahlen Arbeiter und Handwerker mit ihren Steuern für die Unis, obwohl ihre eigenen Kinder dort viel seltener hingehen. Das Gegenargument ist, dass Studiengebühren Nicht-Akademiker-Kinder erst recht vom Studieren abhalten. Ein Studium ist schließlich eh schon teuer, weil man in diesen Jahren auf berufliches Einkommen verzichtet. Und wie viel Freiheit empfinden junge Menschen, einen Studiengang erst einmal auszuprobieren, wenn das bei allgemeinen Studiengebühren vom ersten Semester an kostet? Und was ist mit jenen Geisteswissenschaften, die außerhalb des Lehramts nur schwer einem konkreten Berufsbild entsprechen, wie Philosophie oder Literaturwissenschaften? Wirken Gebühren da nicht besonders abschreckend? Aber sollten Universitäten nicht mehr sein als nur verlängerte Berufsausbildungen, die man möglichst schnell und nutzenorientiert hinter sich bringt? Braucht eine Nation nicht auch ein Bildungsbürgertum, das nicht nur aus Betriebswirten, Juristen oder Ingenieuren besteht? Und wenn Gebühren erhoben werden, kommen sie tatsächlich den Studierenden zugute? Die Politik spricht nämlich von »Studienbeiträgen« statt von »Studiengebühren«, wohl wissend, dass eine »Gebühr« immer mit konkreten Gegenleistungen verbunden sein muss. Und so konkret festlegen will man sich da lieber nicht. Man ahnt, das Thema ließe sich, genau wie die Schulthematik, unendlich fortführen. Viele Fragen. Einfache Antworten gibt es offensichtlich nicht.
Der Föderalismus soll auch dazu dienen, unterschiedliche Modelle auszuprobieren, um zu sehen, was am besten funktioniert. Das heißt, es soll in den kleineren Einheiten viel experimentiert werden, und jeder guckt sich das Beste von den Nachbarn ab. Mit dem Föderalismus soll also eine gewisse Konkurrenz einhergehen: »Schaut mal, ihr Berliner, wie gut die Bayern das machen, das könntet ihr doch auch!« So richtig gut hat das aber anscheinend nicht geklappt, sonst würden die deutschen Schüler insgesamt bei internationalen Vergleichen (Stichwort PISA) besser abschneiden. Dass die Bayern oder Sachsen regelmäßig besser dastehen, ist ein interessantes Phänomen – hilft dem Rest der Republik aber auch nicht wirklich weiter, denn offensichtlich zeigt man in Berlin wenig Neigung, sich »von den Bayern etwas abzugucken«. Da
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