Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
Vom Netzwerk:
aufstehen wie die Kanzler, schließlich besteht ihre Aufgabe u. a. darin, bis 8.30 Uhr alle Zeitungen zu lesen und auszuwerten. Überhaupt haben die engen Mitarbeiter eines Kanzlers ähnlich viel Stress wie der Chef beziehungsweise die Chefin selbst. Keine Jobs für schwache Nerven!
    In der Morgenlage werden auch die Termine des Tages besprochen, und was auf der Welt los ist. Wenn zum Beispiel in Amerika Wahlkampf ist, will auch ein deutscher Kanzler wissen, wer gerade die Nase vorn hat. Oder wenn die Weltraumorganisation NASA meldet, dass es Wasser auf dem Mars gibt, dann interessiert das auch im Berliner Kanzleramt. Die Morgenlage mit ihren Vertrauten ist einer der we nigen Termine, wo die Kanzler ehrlich reden können und auch zugeben dürfen, dass sie über irgendetwas wütend, unzufrieden oder unglücklich sind. Außerhalb dieser Runde muss man damit sehr vorsichtig sein, sonst steht’s direkt in der Zeitung (»Merkel ist verzweifelt«). Nach der Morgenlage bearbeiten die Kanzler häufig Post und E-Mails. Kanzlerin Merkel bekommt jeden Tag rund 1500 Briefe und 1000 E-Mails. Die beantwortet sie natürlich nicht alle selbst. Anfragen, ob man sie treffen kann, werden vorsortiert. Wenn der Präsident von Senegal fragt, ob sie mit ihm zum Mittagessen geht, kümmert sich die Abteilung »Außenpolitik« darum. Will ein Journalist sie interviewen, dann landet die Anfrage erst mal beim Regierungssprecher. Als normaler Bürger kann man der Kanzlerin natürlich auch eine E-Mail schreiben und versuchen, sich mit ihr zu verabreden. Das ist allerdings schwierig; der Präsident von Senegal hat da bessere Chancen. Am ehesten begegnet man einem Kanzler noch in dessen Wahlkreis, bei Frau Merkel ist das Stralsund. Da hält sie Bürgersprechstunden ab, wie das jeder Bundestagsabgeordnete tut. Und einmal im Jahr gibt es in Berlin einen »Tag der offenen Tür«, an dem jeder Bürger ins Kanzleramt darf, und Frau Merkel ist auch da.
    Auf ihrem großen Schreibtisch steht übrigens ein kleines Bild der russischen Zarin Katharina der Großen. Ich habe sie mal gefragt, warum – Antwort: »Weil sie eine tolle Frau war; sie hat viele Veränderungen in ihrem Land durchgesetzt und war sehr erfolgreich.« Das möchte Frau Merkel natürlich auch sein. Allerdings gibt es nur wenig, was ein Kanzler einfach so durchsetzen kann. Schon gar nicht in einer Großen Koalition. Da hatte es die russische Zarin bedeutend leichter …
    Jeden Tag haben Bundeskanzler mindestens sieben bis zwölf Termine. Und darüber hinaus vergehen viele Stunden, in denen sie Akten bearbeiten oder telefonieren. Als Kanzler muss man viel telefonieren, und zwar mit Leuten in aller Welt. Oft sind dann Dolmetscher dabei beziehungsweise zugeschaltet. Man telefoniert also zu dritt. Der Dolmetscher-Job ist spannend – was man da alles so mitkriegt! Aber natürlich ist man zur Verschwiegenheit verpflichtet, sonst fliegt man gleich raus. Als Kanzler muss man jedenfalls jeden Tag wahnsinnig viel quasseln: entweder Reden halten, mehrere am Tag, im Bundestag oder bei anderen Veranstaltungen, zum Beispiel bei internationalen Konferenzen. Oder man muss mit zig Leuten diskutieren: mit unzufriedenen Parteifreunden, mit Gewerkschaftsfunktionären, mit Arbeitgeberverbänden oder mit den Politikern anderer Parteien. Diverse Staatsgäste kommen hinzu, das kann anstrengend werden. Deshalb sind Kanzler froh, wenn sie mal eine Stunde haben, in der sie einfach nur still nachdenken können. Dafür fehlt aber oft die Zeit. Frau Merkel macht das meist am Wochenende, wenn sie kocht oder in ihrem Ferienhaus im Garten arbeitet. Doch auch dann klingelt immer wieder das Telefon. Und ohne ihr Handy geht Frau Merkel sowieso nirgendwo hin. Sie muss immer erreichbar sein. Ihr Sprecher Seibert hat mal erzählt, wie eigentümlich es war, als er und die Kanzlerin während eines Staatsbesuchs in Seoul auf der Fahrt vom Flughafen zum Veranstaltungsort keinen Handy-Empfang hatten. Plötzlich blieb einem nichts anderes übrig als »tatenlos« aus dem Fenster zu schauen, ganz ohne News und Kommunikation. Das sei auch mal »ganz interessant« gewesen. Normalerweise simst die Kanzlerin ständig und ist auch ständig mit ihrem Smartphone an E-Mail und Nachrichtendienste gekoppelt. Sie ist ein regelrechter Handy-Junkie und tippt ihre SMS höchstselbst.
    Natürlich ist man als Kanzler sehr viel auf Reisen. Pro Jahr kommen da locker dreißig Auslandsreisen in mindestens zwanzig Länder zusammen. Besonders wichtig sind

Weitere Kostenlose Bücher