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Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
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Pompös wirkt es trotzdem nicht, eher kühl und sachlich. Die Wohnung darüber ist rund 120 Quadratmeter groß und besteht im Wesentlichen aus einem großen Esszimmer, außerdem gibt es noch eine Einbauküche und ein kleines Schlafzimmer. Ein Kuschelsofa oder eine Krimskrams-Ecke sucht man vergeblich. Das ist alles sehr funktional gehalten, optisches »Highlight« ist ein Picasso an der Wand. Und ein Kinderzimmer gibt es in der offiziellen Kanzlerwohnung übrigens auch nicht – aber welches Kind würde da schon wohnen wollen?! Gerhard Schröder hat dort tatsächlich häufig übernachtet, weil seine Familie während seiner Amtszeit in Hannover blieb. Es soll auch gemütliche Rotwein-und-Zigarren-Runden dort gegeben haben. Muss sich trotzdem merkwürdig angefühlt haben, da oben im Kanzleramt, spätabends. Man blickt über das nächtliche Berlin (die Aussicht ist wirklich toll!), ist der mächtigste Mensch im Land und trotzdem ziemlich allein in diesem riesigen Amt. Die Mitarbeiter sind ja alle längst zu Hause. Frau Merkel hingegen wohnt mit ihrem Ehemann privat in Berlin, zentral in einer Altbauwohnung, die mit Sicherheit geräumiger und gemütlicher ist als das Domizil im Kanzleramt. Sie nutzt die Kanzlerwohnung insofern nur für berufliche Anlässe, etwa für »private« Abendessen mit wichtigen Menschen, zum Beispiel Wirtschaftsführern. Solche Runden sind in Wahrheit natürlich keineswegs »privat«, sondern Teil ihres Jobs. Wenn große Besuchsgruppen kommen, steht ein extragroßer Bankettsaal zur Verfügung. Der König von Saudi-Arabien zum Beispiel reist immer mit mindestens 100 Leuten an, lauter Prinzen und Gefolge. Für so viele Herren ist das Amtswohnzimmer dann doch zu klein.
    Mit der Kanzlerin an der Käsetheke
    Frau Merkel kocht übrigens gern selbst – nicht für Staatsgäste, aber für sich und ihren Mann. Wenn man den ganzen Tag reden und angestrengt nachdenken muss, kann Zwiebelschneiden sehr entspannend sein! Dafür geht sie durchaus auch mal selbst einkaufen. Das ist sehr lustig, denn dann hält ihre Wagenkolonne vor irgendeinem Berliner Supermarkt, sie springt mit zwei Bodyguards aus dem Auto und läuft mit Einkaufskorb durch die Regalreihen. Die anderen Supermarktbesucher wollen natürlich gern mit ihr fotografiert werden: Ich und die Kanzlerin an der Käsetheke – toller Schnappschuss! Die Kanzlerin isst übrigens gerne deftig, besonders gern Buletten, das hat sie mit ihren Vorgängern gemeinsam. Auch Schröder und Kohl hatten es nicht so mit »Chi-Chi«-Kram, was vielleicht auch daran liegt, dass man den als Kanzler ständig serviert bekommt. Trüffelflöckchen an Burgunderscheibchen etc. Was halt so serviert wird, bei offiziellen Essen; irgendwann kann man es nicht mehr sehen. Kohl mochte privat am liebsten Saumagen (klingt komisch, ist aber tatsächlich ganz lecker, eine Art würzige Sülze), Schröder liebte Currywurst, und auch Merkel hat überhaupt kein Problem damit, eine Grillwurst mit Brötchen auf der Hand zu verzehren, während man ihr gegenübersteht. Ihre selbstgemachten Rouladen sollen sehr gut sein, heißt es. Für gemütliche Kochabende bleibt allerdings selten Zeit. Am ehesten am Wochenende, in ihrer privaten Datscha in Brandenburg. Dort hat sie ihren Garten, dort kennt man sie seit Ewigkeiten und lässt sie in Ruhe. Ein normaler Kanzlertag endet aber häufig erst weit nach Mitternacht. Bei besonderen Ereignissen, zum Beispiel EU -Gipfeln, die sich bis tief in die Nacht ziehen, ist auch ein Kanzler Mensch. Man ist nach einer solch heftigen Tour überdreht und noch unter Strom, trinkt ein oder zwei Gläser Wein, um »runterzukommen«, und sucht die Geborgenheit im Kreis von Vertrauten, mit denen man die Erlebnisse verarbeitet. Da kann es passieren, dass die Kanzler mit ihren engsten Mitarbeitern noch bis vier Uhr morgens im Hotelzimmer zusammensitzen. Drei Stunden später hockt man schon wieder im Flieger und bereitet sich auf den nächsten Termin vor. Bei den vielen Euro-Krisengipfeln der letzten Jahre gab es solche extremen Anstrengungen sehr häufig. Und wenn man bedenkt, dass die Regierungschefs dann gerne mal acht Stunden am Stück in einem Raum sitzen und schwierige Diskussionen führen, bei denen es auf jedes Wort ankommt und keiner einen Fehler machen darf, hat man eine ungefähre Vorstellung von dem, was man als Spitzenmann oder -frau so zu leisten hat.
    Das gilt nicht nur für die Kanzler. Die Finanzminister haben ähnlichen Stress. Sechzehn bis achtzehn Stunden

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