Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
»Vertrauensfrage« ist ein politisches Instrument, mit dem Kanzler in einer Krisensituation ihre Macht wiederherstellen können – oder auch nicht. Mit Hilfe der »Vertrauensfrage« kann der Kanzler feststellen, ob er sich noch der Mehrheit der Bundestagsabgeordneten sicher sein kann. Die Vertrauensfrage zu stellen, ist eine politische Extremsituation. Dem muss einiges vorausgegangen sein.
Wenn weniger als die Hälfte der Abgeordneten ihm das Vertrauen aussprechen, gibt es folgende Möglichkeiten:
mit den Achseln zucken und einfach weiterregieren
eine neue Mehrheit/ Koalition finden
zurücktreten; dann muss der Bundestag einen neuen Kanzler wählen oder den Bundespräsidenten um die Auflösung des Bundestages bitten (dann gibt es Neuwahlen) oder einen »Gesetzgebungsnotstand« beim Bundespräsidenten beantragen, den der Bundestag genehmigen muss.
Bislang wurde in der Bundesrepublik die Vertrauensfrage fünfmal gestellt; zweimal kam es zu Neuwahlen.
Mit Hilfe der Vertrauensfrage kann ein Kanzler also testen, wie es um seine Regierungsmehrheit steht. Er darf die Vertrauensfrage auch zusammen mit einer Sachfrage stellen und auf diese Weise versuchen, die Abgeordneten zu einer Zustimmung zu bewegen. Oder zumindest kann er deutlich machen, wie wichtig ihm ein Thema ist. Das tat zum Beispiel Gerhard Schröder 2001, als er den Einsatz von Bundeswehrsoldaten in Afghanistan mit der Vertrauensfrage bündelte. Das brachte vor allem die Abgeordneten der Grünen in Schwierigkeiten, die für Kanzler Schröder waren, aber gegen den Militäreinsatz. Acht von ihnen teilten ihre Stimmen: vier für Schröder und Bundeswehr, vier dagegen. Die CDU / CSU , die in ihrer Mehrheit für einen Militäreinsatz war, lehnte es hingegen ab, bei der Gelegenheit den SPD -Kanzler abzunicken.
Da der Kanzler nicht direkt gewählt wird, muss nicht gleich das ganze Volk an die Urnen, wenn er oder sie keine Mehrheit findet – der Bundestag kann sich einfach einen neuen wählen. Die Abgeordneten sprechen ihm dafür ihr Misstrauen aus. Dieses »konstruktive Misstrauensvotum« ist sozusagen die Umkehrung der Vertrauensfrage. Allerdings muss das Misstrauensvotum »konstruktiv« sein (im Gegensatz zu destruktiv – zerstörerisch ), es muss also zugleich ein neuer Kanzler gewählt werden. Man will damit verhindern, dass Deutschland in eine Regierungskrise gerät, weil weit und breit kein Kanzler in Sicht ist. Ein solches Misstrauensvotum gab es zum Beispiel am 1. Oktober 1982: Die FDP trennte sich vom Koalitionspartner SPD und lief zur CDU über, damit hatte der SPD -Kanzler Helmut Schmidt keine Mehrheit im Parlament mehr, und der Bundestag wählte den neuen CDU -Kanzler Helmut Kohl.
Manchmal stellen Kanzler die Vertrauensfrage aber auch nur, weil sie Neuwahlen wollen, obwohl sie eine Regierungsmehrheit haben und weiterregieren könnten: Helmut Kohl und Gerhard Schröder haben das getan. Im ersten Fall war Kanzler Helmut Kohl gerade erst durch das »konstruktive Misstrauensvotum« an die Macht gekommen; er wollte aber, dass »das Volk zustimmt«, und er rechnete zudem mit einem guten Wahlergebnis. Also stellte er die Vertrauensfrage. Es war im Voraus abgesprochen, dass sich alle CDU - und FDP -Abgeordneten enthalten, anstatt ihm das Vertrauen auszusprechen. Das Gleiche tat Gerhard Schröder 2005, wenn auch aus anderen Motiven. Er hatte tatsächlich große Mühe, sich seiner Leute sicher zu sein und zu regieren. Und so setzte er alles auf eine Karte und wollte Neuwahlen – in der Hoffnung, dass vielleicht doch mehr Bürger den bisherigen Kanzler behalten wollen, als eine neue Kanzlerin zu bekommen. Das hätte ihn innerhalb seiner Partei gestärkt. Allerdings verlor er die vorgezogene Wahl im Herbst 2005 knapp gegen Angela Merkel.
Misstrauensvoten können auch scheitern. Willy Brandt wurde 1972 das Vertrauen des Parlaments ausgesprochen, obwohl seine Gegner sicher waren, ihn stürzen zu können. Sein Konkurrent, der CDU -Mann Rainer Barzel, hätte rechnerisch eine Mehrheit haben müssen. Allerdings waren wohl vom Geheimdienst der DDR Bundestagsabgeordnete bestochen worden, damit sie für Brandt stimmten und Barzel stoppten. Denn der DDR -Führung war Brandt mit seiner Ostpolitik lieber als ein CDU -Mann. Außerdem hatte man mit Günter Guillaume schon einen DDR -Spion im Kanzleramt platziert und wollte keinen Regierungswechsel in Bonn.
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