Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
Denn auch innerhalb einer Partei gibt es mächtige Gruppen, die zufriedengestellt werden wollen. Mächtige Landesverbände wollen vertreten sein, linke und rechte Parteiflügel spielen eine Rolle. Außerdem ist es immer hilfreich, wenn Ostdeutsche und Frauen verteten sind. Die Verhältnisse (»Proportionen«) sollen gewahrt werden. Werden Ministerposten an Parteifreunde vom linken und vom rechten Lager vergeben, spricht man von »Flügelproporz«. Geht es hingegen darum, woher jemand kommt, dann ist es »Regionalproporz«. So kann man natürlich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen, wenn man jemanden aus dem gewünschten Eckchen der Partei und der richtigen Gegend Deutschlands findet. Eine ostdeutsche Realo-Frau deckt zum Beispiel bei den Grünen schon mal viel ab.
Das alles führt dazu, dass ein Minister sich zwar möglicherweise für sein neues Fachgebiet interessiert und vielleicht sogar Ahnung davon hat – vielleicht aber auch nicht. Ein Minister kann ein Mitglied des Bundestags sein, also ein gewählter Abgeordneter. Das ist aber nicht zwingend erforderlich. Im Grunde könnte also jeder jederzeit Minister werden. Normalerweise werden aber erfahrene Parteimitglieder hier mit einem schönen Posten belohnt. Es fällt ihnen dann leichter, für ihre Vorhaben Unterstützung bei ihren Parteifreunden in der Fraktion zu finden.
Es kann aber auch mal jemand »Minister wider Willen« werden. Nach der Wahl 2005 war es beschlossene Sache, dass der damalige CSU -Chef und bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber ein extra für ihn zurechtgeschmiedetes Superministerium übernehmen sollte (das Ministerium für Wirtschaft und Technologie). Dann aber erklärte der SPD -Parteivorsitzende Franz Müntefering seinen Rücktritt. Das nahm Stoiber erleichtert zum Anlass, doch lieber in Bayern zu bleiben, weil sich »die Geschäftsgrundlage« geändert habe. Was aber wohl nur ein Vorwand war; eigentlich hatte Stoiber wohl längst das ungute Gefühl, dass eine Aufgabe am Kabinettstisch in Berlin nicht mit so viel Einfluss einhergehen würde wie sein Job als Ministerpräsident Bayerns. Seinem Wirtschaftsministerium hatten Aufgaben aus dem für Müntefering vorgesehenen Arbeitsministerium zugeschoben werden sollen, und das klappte nun nicht mehr. Jetzt musste schnell ein neuer CSU -Mann gefunden werden, um die delikate Proporz-Balance nicht zu stören. Und so wurde Michael Glos Minister für Wirtschaft und Technologie, obwohl es heißt, dass er dazu keine Lust hatte, sondern lieber Verteidigungsminister geworden wäre. Aber das Leben ist ja kein Ponyhof. 2005 trat er brav sein Amt als Bundeswirtschaftsminister an – im Februar 2009 bat er um seine Entlassung.
Und was machen die vielen »Sekretäre«?
Solche Geschichten sind ganz unterhaltsam, sachlich aber weniger problematisch, als man denkt. Denn ein Minister hat sowieso wenig Zeit, sich inhaltlich zu kümmern. Der Minister fährt rum, gibt Interviews, sitzt in Tagungen, führt Verhandlungen. Er muss sich darauf verlassen, dass ihn seine Mitarbeiter gut briefen, ihm die wichtigsten Fakten und Zusammenhänge darlegen. Der wichtigste Mitarbeiter ist der Staatssekretär, er leitet das Ministerium. Er ist zugleich Vertreter des Ministers, zum Beispiel bei Urlaub oder Krankheit.
Nun klingt der Begriff »Staatssekretär« nicht so toll, schon gar nicht für einen wichtigen Job. Deswegen forderte der ehemalige Minister Hans-Jürgen Wischnewski 1974 einen schmissigeren Titel. Daraufhin beschloss man, dass Außenminister Genscher seinen neuen Parlamentarischen Staatssekretär auch »Staatsminister« nennen darf. Das sollte vor allem im Ausland Eindruck machen, wo eine »secretary« oft nur eine Sekretärin ist. Andererseits: Der amerikanische Außenminister John Kerry führt die Bezeichnung »Secretary of State«, und der dänische Regierungschef ist offiziell ein »Staatsminister«.
Wie auch immer, jedenfalls dürfen sich Parlamentarische Staatssekretäre im Auswärtigen Amt und im Kanzleramt »Staatsminister« nennen und sich insofern ein bisschen toller fühlen als die anderen. Nicht zu verwechseln sind die Staatsminister im Kanzleramt mit dem Kanzleramtsminister. Er ist der oberste Behördenleiter und tatsächlich sehr viel mächtiger als jeder Staatssekretär. Von denen gibt es auch noch zwei Arten, die man unterscheiden muss: beamtete Staatssekretäre und Parlamentarische Staatssekretäre. Die beamteten Staatssekretäre sind die wichtigen, die dem Minister das Haus leiten und
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