Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
deshalb nicht drin. Außerdem: Rauchen ist seit Jahrhunderten erlaubt, genau wie Alkohol, der ebenfalls sehr schädlich ist, und die Leute wissen schließlich selbst, dass Rauchen der Gesundheit schadet. Ist es nicht ihr Bier, wenn sie qualmen? Manche rauchen ja auch nur hin und wieder. Und wenn man Tabakkonsum total verbietet, würde sich wahrscheinlich ein illegaler Schwarzmarkt bilden, und viele Raucher wandeln sich von braven Staatsbürgern zu Kriminellen, pflanzen vielleicht heimlich Tabak im Badezimmer an. Die organisierte Kriminalität wittert ein großes Geschäft, der Zigarettenverkauf wird zur einträglichen Einnahmequelle der Mafia. So lief es in Amerika während der Prohibition, als Alkohol verboten wurde. Und so läuft es heute noch bei den harten Drogen. Weshalb manche ja auch fordern, alle Drogen zu legalisieren, um genau diese Schwarzmärkte zu unterbinden und der weltweiten Drogenkriminalität ihre Basis zu entziehen. Dem stehen die massiven Gesundheitsgefahren bei harten Drogen entgegen. Bei Tabak jedenfalls entschied man: Ein Totalverbot ist keine Lösung. Also suchte man einen Kompromiss: Die Nichtraucher sollen geschützt werden, ohne dass man das Rauchen und den Tabak komplett verbietet. So weit, so gut.
Mehr als zwanzig Jahre lang debattierte man über den Nichtraucherschutz, und man wusste, dass zwischen 60 und 80 Prozent der Bevölkerung dafür sind. Doch nicht nur in Büros und öffentlichen Gebäuden sollte das Rauchen verboten werden, sondern auch in Gaststätten. Denn eine Selbstverpflichtung des Gaststättenverbandes hatte praktisch nichts genützt: Nur 800 von 240000 Restaurants waren rauchfrei.
Deshalb sollte nun endlich ein bundesweites Rauchverbot für alle öffentlichen Räume beschlossen werden: Einkaufszentren, Schulen, Behörden, Flughäfen, Restaurants, Büros, Kneipen. Nur zu Hause oder draußen an der frischen Luft dürfte gequarzt werden. Das ist auf den ersten Blick schlüssig, weil gesundheitsfördernd. Aber: Die Restaurantbesitzer sehen das anders. Sie finden, dass es ihre Sache ist, ob in ihrer Gaststätte geraucht wird oder nicht. »Braucht ja keiner kommen, den es stört«, sagen sie. Und sie fürchten um ihre Umsätze: Viele Raucher gehen gerne aus, und wenn sie nicht rauchen dürfen, bleiben sie weg oder gehen früher nach Hause, anstatt noch eine neue Runde zu bestellen.
Die Politik ahnte, dass es nicht einfach würde mit den Rauchverboten. Der Gesetzentwurf wurde in eine kleine Arbeitsgruppe aus vier Abgeordneten und zwei Parlamentarischen Staatssekretären verwiesen und dort erst mal eine Weile zerredet. Ganz schnell lag da auch eine Liste mit Ausnahmevorschlägen auf dem Tisch. Sie stammte direkt von den Zigarettenherstellern selbst – wenn auch ohne Absenderangabe. Na ja, versuchen kann man es ja mal.
Es folgte, nach vielen Monaten Ausschussarbeit, die Feststellung des Bundesinnenministeriums: Die Bundesregierung könne Gaststätten sowieso keine Vorschriften machen – das sei nämlich Ländersache. Für den Gesundheitsschutz ist zwar der Bund zuständig, aber offenbar hört die Zuständigkeit vor der Kneipentür auf. So wollte das Innenministerium den Schwarzen Peter jemand anderem zuschieben – und bezog sich dabei auf ein Gutachten, das von der »Forschungsgesellschaft Gesundheit und Rauchen« im Auftrag der Tabakindustrie erstellt worden war. Gute Lobbyisten haben eben gute Drähte bis ganz nach oben!
Das Gesetzesvorhaben wurde also an die Regierungen der Bundesländer verwiesen, die zuständig für Gaststätten sind. Die Länder waren bei einem ersten Treffen auch recht gutwillig. Doch dann wurde die Tabaklobby erneut aktiv: Der Verband der Cigarettenindustrie ( VdC ) sponserte zum Beispiel eifrig und großzügig Sommerfeste von Ministerpräsidenten. Parallel schrieb der Zigarettenhersteller Reemtsma einen »Liberty Award« für freiheitliche Berichterstattung aus. Philip Morris wiederum lud zum »Parlamentarischen Abend« und British American Tobacco zu einer »Dialogveranstaltung«. Martina Pötschke-Langer vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg klagte: »In Deutschland hat die Tabaklobby bisher beste Arbeit geleistet.«
Natürlich ist es nicht so, dass Ministerpräsidenten wegen eines Sommerfestes gezielt und nachweislich Gesetze verzögern. Und natürlich darf Reemtsma im kulturellen Bereich stiften, und die preisgekrönten Dokumentationen beim »Liberty Award« waren auch sehr gut. Dennoch birgt eine solche Vermengung von Politik,
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