Kap der Finsternis: Roman (German Edition)
Blick trat. »Ja. Er hat ihn gesehen.«
»Was hast du ihm gesagt?«
»Dass es das Kind von meiner Freundin ist.«
»Ein weißer Junge?«
»Hab ihm gesagt, Daddy wäre ein Matrose gewesen.«
»Das hat er geschluckt?«
»Ja. Ich glaube schon.«
»Hat noch irgendwer den Jungen gesehen?«
Sie schüttelte den Kopf. Er glaubte ihr. Er senkte die Waffe. »Wo ist der Junge jetzt?«
»Im Bad.«
Er polterte an dem alten Alki vorbei, der auf dem Sofa schnarchte, tief und fest schlief, und öffnete die Badezimmertür. Der Junge lag neben der widerlich schmutzigen Kloschüssel, regungslos, wie tot. Barnard beugte sich herab und befühlte mit seinen Wurstfingern den Hals des Jungen. Er spürte einen Puls. Der Junge rührte sich nicht.
Barnard ging in den anderen Raum und fand die Mischlingsfrau an der Küchenspüle, wo sie ein feuchtes Tuch auf ihr Gesicht drückte. Das Tuch wurde bereits rosa.
»Hast du ihm irgendwas gegeben, damit er schläft?«
Sie nickte. »Eine halbe Mogadon.«
»Und was, wenn du ihn damit umgebracht hast?«
Sie starrte ihn an, das Blut sickerte durch den Stoff. »Du wirst ihn doch sowieso umbringen, stimmt’s?«
»Wie kommst du darauf?«
Sie zuckte die Achseln. Blut tropfte durch den Stoff.
Dann kam er auf sie zu. Sie wich gegen die Spüle zurück, doch er überraschte sie, indem er seinen Daumen an der Stelle auf den Stoff legte, wo sich die Platzwunde befand, und Druck ausübte. So hielt er es fast eine Minute fest, starrte sie an, wobei sein fauliger Mundgeruch über sie hinwegkroch wie die Ausdünstungen eines septischen Tanks.
»Ich werde heute Nacht hierbleiben.«
»Du kannst nicht mit mir schlafen!«
»Du kannst von Glück reden.« Er lachte und löste den Griff auf ihrem Gesicht. Der Druck hatte das Blut verlangsamt.
Barnard drehte sich um und ging zu dem abgewetzten Sessel, schob ihn so, dass die Rückenlehne zur Wand und genau gegenüber der Wohnungstür stand. Als er sich setzte, quoll sein Fett über die Armlehnen. Er zog den Reißverschluss des Seesacks auf und wickelte die Mossberg aus.
Er schaute zur Tür, sah sie nicht an, als er sprach. »Ich werde nicht schlafen. Ich werde hier sitzen und darauf warten, ob jemand durch diese scheiß Tür hereinkommt.«
Die Hubschrauber weckten Burn erneut. Diesmal wusste er jedoch ganz genau, wo er sich befand. Und die Lage, in der er steckte, ließ Desert Storm vergleichsweise einfach erscheinen. In jenem Krieg hatte es gewisse Regeln gegeben, das heißt, sofern man Amerikaner war. Man erhielt Befehle, man rückte vor und man tötete Menschen. Nachts pisste man in die Lebensmittelration, um das Aufwärmpäckchen zu aktivieren, und aß eine Truthahn-Mahlzeit, während der Rauch der brennenden Ölfelder einen wie eine Decke umhüllte.
Jetzt aber, hier in Kapstadt, waren die Regeln irgendwie abhandengekommen. Vielleicht hatte es sie auch nie gegeben.
Burn warf einen Blick auf die Uhr. Kurz nach sechs Uhr morgens. Er hatte einen schweren Schädel von dem Scotch, den er getrunken hatte, um einschlafen zu können. Er griff nach dem Telefon, tippte Mrs. Dollies Nummer. Er hörte ihre Stimme sagen, ein wenig gehemmt, unsicher im Umgang mit moderner Technik, er solle eine Nachricht hinterlassen. Burn legte auf, kämpfte gegen das Gefühl an, für ihren Tod verantwortlich zu sein. Und gegen die panische Angst, der Kidnapper könnte Matt bereits getötet haben.
Mrs. Dollies Tochter Leila hatte ihn am Abend zuvor erneut angerufen. Trauer hatte in ihrer Stimme gelegen, aber sie war auch gefasst und höflich. Sie nahm seine Anteilnahme voller Würde entgegen und bat ihn, zur Beerdigung zu kommen. Mrs. Dollie war Muslimin, und entsprechend muslimischen Bräuchen musste sie so bald wie möglich beigesetzt werden. Die Polizei hatte eine Obduktion durchgeführt und den Leichnam zur Beerdigung freigegeben. Burn hatte sich sagen hören, natürlich werde er kommen.
Das würde heute sein, irgendwann am Nachmittag.
Er schleppte sich vom Bett unter die Dusche, drehte das Wasser immer wieder abwechselnd von heiß nach kalt, versuchte so, einen einigermaßen klaren, wachen Kopf zu bekommen. Er rasierte und kämmte sich, entschied sich für lässig-teure Kleidung, die für die Bankgeschäfte des Vormittags angemessen war.
Er betrachtete sein Gesicht im Spiegel; erst jetzt fiel ihm ein, dass er an diesem Tag zum zweiten Mal Vater werden würde.
Barnard wachte von dem Geräusch an der Tür auf. Scheiße, er hatte nicht einschlafen wollen. Er kämpfte
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