Kaperfahrt
aufgeklappt und Motorteile auf einer Abdeckplane verteilt, die sie in der Nähe auf dem Bürgersteig ausgebreitet hatten. Männer und Frauen, einige in langen Mänteln, andere in westlicher Kleidung, schlenderten an ihnen vorbei, ohne sie weiter zu beachten.
Eddie fand für ihren Mietwagen einen Parkplatz vor einem kleinen Gemüseladen, ein Stück weiter von dem Lieferwagen entfernt. Der Geruch von Orangen in Fässern, die die Eingangstür flankierten, lag in der Luft.
Er kramte im Handschuhfach herum, während er die Straße im Auge behielt und nach verdächtigen Anzeichen suchte. Doch nichts schien aus dem Rahmen des Normalen zu fallen – und sein Instinkt, der ihm stets gute Dienste geleistet hatte, sagte ihm, dass die Umgebung sauber war. Die beiden alten Männer, die vor einem Café Backgammon spielten, waren nicht mehr als das, als was sie erschienen. Der junge Ladenhelfer, der einen Tisch im Schaufenster eines Möbelladens abstaubte, achtete nur auf seine Arbeit und nicht auf den Straßenverkehr. Niemand saß untätig in seinem Wagen, während die Nachmittagssonne die Luft unbarmherzig zum Glühen brachte. Abgesehen vom Lieferwagen der chinesischen Bandenmitglieder waren keine anderen Fahrzeuge zu sehen, die einem Überwachungsteam als Basis hätten dienen können.
Am Ende des Blocks befand sich eine große Baustelle mit einem Raupenkran, der Baumaterial auf die zehnstöckige Rahmenkonstruktion aus Stahl und Beton eines zukünftigen Hochhauses mit Luxusapartments hievte. Auch diesmal sah Eddie nichts Verdächtiges in der Parade fahrbarer Betonmischer und Lastwagen, die durch die Tore ein- und ausfuhren.
»Bereit?«, fragte er Hali.
Kasim atmete aus, wobei sich seine Wangen wie bei einem Trompeter aufblähten. »Wie schafft ihr es eigentlich immer, so ruhig zu bleiben – du und Juan und die anderen?«
»Juan zum Beispiel denkt sich jedes mögliche Szenario aus und achtet darauf, dass er immer einen Ausweichplan in petto hat, falls irgendetwas Unvorhergesehenes geschieht. Und ich? Ich denke überhaupt nicht nach. Ich halte mir den Kopf völlig frei und reagiere so, wie es die jeweilige Situation erfordert. Keine Sorge, Hali. Wir schaffen das schon.«
»Dann nichts wie los.«
Sie öffneten die Türen. Eddie rückte seinen Hut und die Sonnenbrille zurecht, die einzige Art von Verkleidung, die er benutzte, um seine asiatischen Gesichtszüge zu verbergen. Beide Männer trugen weit geschnittene hellbraune Baumwollhosen und am Hals offene Hemden, womit sie in vielen Gegenden des Nahen Ostens völlig anonym erschienen.
Während sie an dem Lieferwagen vorbeischlenderten, steckte Eddie einem der Bandenmitglieder ein Wegwerf-Mobiltelefon zu. Dabei flüsterte er: »Sammelt eure Sachen ein, und behaltet den roten Fiat im Auge, mit dem wir hergekommen sind. Kurzwahl eins ist mein Telefon.«
Der junge Chinese verriet durch keine Reaktion, dass er etwas anderes gehört hatte, außer dass die Motorhaube des Lieferwagens zugeklappt worden war. Eddie und Hali gingen mit gleichmäßigen Schritten weiter.
Die Eingangstür ihres Zielgebäudes war nicht verschlossen, doch auf dem Sofa in der Vorhalle saß ein Wachmann in dunkler Uniform und las in einer Zeitung. Die beiden Männer waren in ein Gespräch vertieft hereingekommen. Dann lachten sie, als hätte einer von ihnen einen Witz erzählt, und ignorierten den Wachmann, als er seine Zeitung beiseitelegte und etwas auf Arabisch fragte, was keiner der beiden Männer verstand.
Hali bekam die Bewegung gar nicht mit. Er glaubte nicht, dass sie nahe genug herangekommen waren.
Wie ein Fechter hatte Eddie mit steifen Fingern zugestoßen. Seine Hand traf die Kehle des Wachmanns dicht unterhalb des Adamsapfels. Er hätte den Mann töten können, wenn er es gewollt hätte, aber der Stoß war genau abgemessen. Der Libyer begann zu würgen, und Eddie schlug ein zweites Mal zu. Diesmal traf seine Handkante den Mann seitlich am Hals. Die Augen des Wachmanns verdrehten sich, bis nur noch das Weiße zu sehen war. Schließlich sank er auf die Couch zurück.
Seng warf einen Blick aus der Glastür, um sich zu vergewissern, ob irgendjemand auf sie achtete, dann schleifte er mit Halis Hilfe den bewusstlosen Wachmann in ein Hinterzimmer, dessen eine Wand mit Brieffächern gesäumt war.
»Wie lange ist er weggetreten?«
»Für etwa eine Stunde.« Eddie durchwühlte die Taschen des Mannes und suchte seinen Personalausweis. Daraus ging hervor, dass der Name des Wachmanns Ali lautete.
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