Kaperfahrt
fünfzigprozentigen Sicherheitsfaktor.«
»Natürlich. Warum habe ich das nicht erkannt?«
»Macht es euch etwas aus zu erklären, was an eins Komma sechs so wichtig ist?«, fragte Linda mit einer etwas erhöhten Stimme, um das Geräusch des von der Decke rieselnden Sandes zu übertönen.
»Da sich dieser Teil des Tunnels unter dem Fluss befindet, war die Falle höchstwahrscheinlich so konstruiert, dass sie sich mit Wasser füllte und die Opfer in ihr ertranken. Im Laufe der Jahre hat sich das Becken über uns jedoch mit Sand gefüllt.«
»Und?«
»Das spezifische Gewicht von Sand ist eins Komma sechs Mal so hoch wie das von Wasser.«
Linda begriff nicht, was er meinte, und befahl ihm mit einer ungeduldigen Geste fortzufahren.
»Die Wand wurde errichtet, um einer bestimmten Menge Wasser standzuhalten. Aber jetzt, da sich dieser Raum mit Sand füllt, hält sie eins Komma sechs Mal mehr Gewicht zurück, als ihre Erbauer ausgerechnet hatten. Jeder gute Ingenieur würde einen zusätzlichen fünfzigprozentigen Sicherheitszuschlag berücksichtigen. Selbst wenn sie die Wand auf diese Art und Weise verstärkt hätten, wäre die Sandmenge immer noch um zehn Prozent schwerer als das Gewicht, dem die Wand standhalten kann. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis sie nachgibt.«
Linda blickte skeptisch von Eric zu Mark. Beide mühten sich noch immer damit ab, sich auf der ansteigenden Sandflut zu halten, aber die grimmige Schicksalsergebenheit, die gerade noch in ihren Gesichtern gelegen hatte, war verschwunden. Die beiden waren überzeugt, dass sie der Falle lebendig entkommen würden. Das reichte aus, um auch sie zu beruhigen.
Viele Sekunden später war die Wand noch immer nicht eingestürzt, und die vier konnten sich nur noch auf Händen und Knien bewegen. In dieser Position war es wesentlich schwieriger, sich des Sandes zu erwehren. Linda und Alana kämpften jetzt ebenso wie die Männer verzweifelt. Sie pressten die Rücken gegen die Decke und mussten sehen, dass nur noch fünfzig Zentimeter Raum unter der Decke übrig waren, bevor sich die Kammer vollständig gefüllt hätte. Diese letzten Sekunden würden rasend schnell verstreichen.
Lindas Euphorie, dass ihre Rettung in greifbare Nähe rückte, verflog zwar, aber sie würde dennoch bis zum bitteren Ende um ihr Leben kämpfen. Mark und Eric wanden und krümmten sich und gruben hektisch, um von den Sandmassen nicht verschlungen zu werden, doch Alana Shepard hatte längst kapituliert. Sie konnten sie über dem Rauschen des Sandes schluchzen hören.
»Verdammt«, war alles, was Eric in diesem Moment über die Lippen brachte. Seine Wange presste sich gegen die raue Decke, und er hatte sich eine kleine Luftblase um seinen Mund geschaffen, kurz bevor eine weitere Sandwoge sein Gesicht zuschüttete.
Gut fünf Meter unter ihnen wölbten sich die Ziegelreihen unter dem Druck Hunderter Tonnen Sand. Mörtel zerbarst, und winzige Rinnsale Sand rieselten durch die feinen Risse und Spalten.
Plötzlich gab die Wand auf ihren gesamten drei Metern Breite nach. Das Mauerwerk hielt nicht länger, fiel in sich zusammen und stürzte – darin einem gebrochenen Deich ganz ähnlich – nach außen in eine weitere Felsenhöhle. Sand flutete durch die Öffnung und riss die Mauerreste wie Treibgut mit sich.
Die vier Menschen, die soeben noch ihre letzten Gebete gemurmelt hatten, wurden von der Sandwoge weitergetragen und gegen noch eine Barriere geworfen. Dabei dämpften die Sandmassen, die sie hatten verschlingen wollen, ihren wilden Ritt.
Mark sammelte sich als Erster: Sein Freudenschrei hallte durch die geräumige Felsenkammer. Er streckte die Hand aus, damit Eric sie abklatschen konnte. »Gut gemacht, mein Freund. Verdammt genial.«
Eric war ein wenig blass um die Nase. »Am Ende war ich mir gar nicht mehr so sicher.«
»Ich habe keine einzige Sekunde gezweifelt.« Mark zog Stone auf die Füße, und sie halfen Alana und Linda beim Aufstehen.
Alana schlang Eric die Arme um den Hals, als hätte er durch seine Vorhersagen die Wand zum Einsturz gebracht. »Danke«, hauchte sie ihm ins Ohr.
»Gern geschehen«, erwiderte er verlegen.
Sie brauchten ein paar Minuten, um ihre Waffen zu suchen und die Läufe und Griffstücke vom Sand zu befreien. Die Sturmgewehre waren für eine so unsanfte Behandlung nicht ausgelegt, daher mussten sie sorgfältig zu Werke gehen.
Sie befanden sich in einer weiteren Höhle, die zum selben System von Kalksteinkavernen gehörte, das den Hügel über
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