Kaperfahrt
Seite dagegenschlugen. Die Qualmwolken wurden dichter.
»Hört auf!«, rief Didi, dem allmählich ebenfalls dämmerte, dass einiges nicht so war, wie es eigentlich hätte sein sollen.
Er eilte als Erster die Treppe hinauf und bemerkte dabei gar nicht, dass der Wächter, den er vorher dort postiert hatte, nicht mehr auf seinem Platz war. Was als schnelles Gehen begonnen hatte, steigerte sich zu einem Trab und schließlich zu einem regelrechten Spurt.
Dieser Mistkerl hat den Instinkt einer Ratte, dachte Juan. Er drosselte sein Tempo, damit er unauffällig mit dem Operationszentrum kommunizieren konnte. »Linda, bist du an uns dran?«
»Ja, ich habe euch im Blick.«
»Ich kann Didi bei so vielen Wächtern nicht aus dem Verkehr ziehen. Wenn wir aufs Deck kommen, müsst ihr uns angreifen. Verstanden?«
»Verstanden.«
Sie stiegen nach dem Korridor durch den nächsten geheimen Eingang nach oben und gelangten in der Nähe der Gangway aufs Hauptdeck. Kaum hatten sie den Decksaufbau verlassen und waren ins gleißende Sonnenlicht hinausgetreten, als eine Wasserlanze aus einer der Löschkanonen Didi mitten auf der Brust traf. Die Wucht des Aufpralls warf ihn gegen seine Männer, von denen drei sofort zu Boden gingen. Linc schlang die Arme um die beiden, die sich auf den Füßen hatten halten können, und schlug ihre Köpfe mit einem trockenen, dumpfen Laut gegeneinander. Er hätte auch ihnen leicht die Schädel einschlagen können, aber er gab sich damit zufrieden, dass sie reglos zu Boden sanken.
Hakeem achtete nicht auf die Wasserströme, die seine Füße umspülten, und starrte Juan ungläubig an. Der Schwall Meerwasser hatte seine Schminke abgewaschen und die Sonnenbrille weggerissen, so dass seine hellblauen Augen zum Vorschein kamen. Sein Warnruf erhob sich über das Jammern der Frauen, die von den Wassermassen überschüttet wurden. Er brachte seine Kalaschnikow an der Hüfte in Anschlag, als Juan ihn mit der Schulter rammte und den Piraten so gegen die Schiffsreling schleuderte. Der Stoß bewirkte jedoch, dass sich der Finger des Piraten um den Abzugshebel seiner Waffe krümmte.
Eine ratternde Salve verließ die Mündung der Maschinenpistole. Glücklicherweise pfiffen die Geschosse nur wirkungslos über die Köpfe der sich drängelnden Frauen und Kinder in die Luft, verwandelten jedoch den halbwegs geordneten Rückzug vom Schiff in eine wilde Massenflucht und erregten damit die Aufmerksamkeit der anderen bewaffneten Männer.
Juan konzentrierte seine namenlose Wut auf den Somali und bohrte ihm voller Wucht den Ellenbogen in die Magengrube. Hakeems Kalaschnikow fiel klappernd aufs Deck. Während dem Piraten die Augen fast aus dem Kopf quollen und sich sein Mund hektisch öffnete und schloss, als er sich bemühte, frische Luft in seine Lungen zu saugen, traf Juan seine Kinnspitze hart genug, um ihn über die Reling zu werfen. Juan beugte sich darüber und sah, dass Hakeem das Pech hatte, nicht in den schmalen Wasserstreifen einzutauchen, der das Schiff vom Kai trennte, sondern auf dem Heckbalken des Fischerkutters landete, mit dem er zu Beginn die Oregon angegriffen hatte. An dem Winkel, den Hakeems Hals zum restlichen Körper bildete, erkannte Juan, dass er wohl gebrochen sein musste und der Pirat tot war.
Es gab nichts, worüber er sich in diesem Augenblick mehr hätte freuen können.
Nun drängte er sich durch die in Panik geratene Masse der Somalis. Weiterhin schoss Wasser aus der Löschkanone und prasselte auf das Schiff, so dass es ihm vorkam, als renne er geradewegs durch einen Wolkenbruch. Niemand schien seine weiße Haut zu bemerken, bis ein vielleicht sechs Jahre alter Junge, der einen Stapel Bettlaken und Handtücher schleppte, ihn sah und den Mund öffnete, um eine Warnung auszustoßen. Juan kniff den Jungen in den Arm – in der Hoffnung, ihn zum Weinen zu bringen, wie es zu diesem Zeitpunkt Dutzende von Kindern taten, während sie sich mit ihren Müttern verzweifelt bemühten, das Schiff zu verlassen. Stattdessen ließ sich der Junge aufs Deck fallen und schlang die Arme um Juans Bein. Cabrillo wollte sich losreißen, aber der Junge hielt ihn mit der Beharrlichkeit einer Muräne fest. Dann machte er den Fehler, Cabrillo ins Bein beißen zu wollen. Der Junge, der wahrscheinlich noch nie von einem Zahnarzt gehört, geschweige denn einen solchen jemals gesehen hatte, biss so fest zu, wie er konnte, und schaffte es, sich vier seiner Milchzähne abzubrechen. Er schrie auf, während das Blut von seinen
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