Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kapitaen Bykow

Kapitaen Bykow

Titel: Kapitaen Bykow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Strugatzki
Vom Netzwerk:
ersticken, und die Übrigen würden das Geschehen für ein Wunder halten. Dabei wäre es keineswegs ein Wunder, sondern eine reale, jedoch überaus unwahrscheinliche Tatsache. Es wäre eine gigantische Fluktuation – eine mit verschwindend geringer Wahrscheinlichkeit auftretende Abweichung vom wahrscheinlichsten Zustand.«
    Nach seinen Worten war er selbst eben solch eine Abweichung vom wahrscheinlichsten Zustand. Er war von Wundern umgeben. Einen zwölffachen Regenbogen zu erblicken, war zum Beispiel ein Klacks für ihn – er hatte dergleichen sechs- oder siebenmal gesehen.
    »Ich schlage jeden Liebhaber der Wetterbeobachtung«, prahlte er niedergeschlagen. »Ich habe Polarlichter in Alma-Ata gesehen, das Brockengespenst im Kaukasus, und zwanzigmal habe ich den berühmten grünen Strahl beobachtet, oder das ›Hungerschwert‹, wie er auch genannt wird. Ich bin nach Batumi gekommen, und dort begann eine Dürre. Da habe ich eine Reise durch die Gobi unternommen und bin dabei dreimal in einen Tropenschauer geraten.«
    Während der Schulzeit und an der Hochschule hatte er eine Menge Prüfungen abgelegt und jedes Mal den Fragezettel Nummer fünf gezogen. Einmal war er bei einem Sonderkursus geprüft worden, und es hatte festgestanden, dass es nur vier Prüfungsfragen geben würde, für jeden Prüfling eine, und er hatte trotzdem die Frage Nummer fünf gezogen, weil eine Stunde vor der Prüfung dem Lehrer eingefallen war, noch einen Zettel hinzuzufügen. Butterbrote fielen bei ihm weiterhin mit der bestrichenen Seite zuoberst. (»Dazu bin ich offensichtlich bis ans Ende meiner Tage verurteilt«, sagte er. »Es wird mich immer daran erinnern, dass ich nicht irgendein gewöhnlicher Mensch bin, sondern eine gigantische Fluktuation.«) Zweimal widerfuhr es ihm, dass sich in seiner Anwesenheit große Luftlinsen bildeten (»eine makroskopische Fluktuation der Luftdichte«, erläuterte er vage), und beide Male ließen diese Linsen ein Streichholz in seiner Hand aufflammen.
    Alle Wunder, die ihm begegneten, unterteilte er in drei Gruppen: angenehme, unangenehme und neutrale. Die mit der bestrichenen Seite nach oben fallenden Schnitten zum Beispiel gehörten zur ersten Gruppe. Der unvermeidliche Schnupfen, der bei ihm regelmäßig und unabhängig vom Wetter an jedem Monatsersten begann und wieder aufhörte, zählte zur zweiten Gruppe. In die dritte fielen allerlei äußerst seltene Naturerscheinungen, die die Ehre hatten, in seiner Anwesenheit stattzufinden. Einmal wurde das zweite Gesetz der Thermodynamik verletzt: Das Wasser in einer Blumenvase begann plötzlich, der umgebenden Luft Wärme zu entziehen, bis es den Siedepunkt erreichte, während im Zimmer Reif fiel. (»Danach ging ich wie vor den Kopf geschlagen umher, und bis zum heutigen Tage, wissen Sie, probiere ich das Wasser mit der Fingerspitze, bevor ich es trinke ...«) In sein Zelt – er hatte viele Reisen unternommen – waren mehrfach Kugelblitze eingedrungen und hatten stundenlang unter der Decke geschwebt. Schließlich hatte er sich daran gewöhnt und die Kugelblitze als elektrische Lämpchen benutzt: zum Lesen.
    »Wissen Sie, was ein Meteorit ist?«, fragte er plötzlich. Junge Leute neigen zu billigen Späßen, und ich antwortete, Meteoriten seien fallende Sterne, die nichts gemein hätten mit den Sternen, welche nicht fallen.
    »Meteoriten treffen mitunter Häuser«, sagte er nachdenklich. »Aber das kommt sehr selten vor. Und es ist nur ein, wissen Sie, ein Fall verzeichnet, dass ein Meteorit einen Menschen getroffen hat. Wissen Sie, der einzige Fall dieser Art ...«
    »Ja und?«, fragte ich.
    »Dieser Mensch bin ich!«
    »Sie scherzen«, sagte ich erschaudernd.
    »Keineswegs«, erwiderte er traurig.
    Wie sich herausstellte, hatte es sich im Ural zugetragen. Er war zu Fuß durchs Gebirge gegangen und für einen Augenblick stehen geblieben, um sich den Schnürsenkel zuzubinden. Er hatte ein scharfes Pfeifen vernommen und einen Stoß gegen den hinteren Körperteil und gleichzeitig brennenden Schmerz verspürt. »In der Hose war so ein Loch«, erzählte er. »Ich blutete, wissen Sie, aber nicht stark. Schade, dass es jetzt dunkel ist, sonst würde ich Ihnen die Narbe zeigen.«
    Er hatte dann dort ein paar verdächtige Steinchen gesammelt und in seinem Tisch aufbewahrt – vielleicht war einer davon jener Meteorit.
    Ihm waren auch Dinge widerfahren, für die es aus wissenschaftlicher Sicht überhaupt keine Erklärung gab. Vorläufig zumindest, beim

Weitere Kostenlose Bücher