Kapitän Singleton
geradenwegs das Ufer an.
Die Schaluppe kam jedoch auf und griff sie an; unsere Leute stellten fest, daß es ein Schiff mit zehn Kanonen war, von portugiesischer Bauart, aber im Besitz holländischer Kauffahrer und mit Holländern bemannt, die vom Persischen Golf nach Batavia segelten, um Gewürze und andere Waren von dort zu holen. Die Mannschaft der Schaluppe kaperte und durchsuchte das Schiff, bevor wir aufkamen. Es hatte einige europäische Waren an Bord sowie eine hübsche runde Summe Bargeld und Perlen, und so kam es, daß wir zwar nicht in den Golf einfuh-ren, um Perlen zu holen, die Perlen aber aus dem Golf zu uns kamen, und wir erhielten unseren Anteil daran. Es war ein reiches Fahrzeug und seine Ladung neben dem Geld und den Perlen von beträchtlichem Wert.
Wir hielten nun eine lange Beratung ab, was wir mit der Mannschaft tun sollten; würden wir ihr das Schiff zurückgeben und sie ihre Fahrt nach Java fortsetzen lassen, hätte das bedeutet, die dortige holländische Faktorei – bei weitem die stärkste in Indien – in Alarm zu versetzen und unsere Durchfahrt hier unmöglich zu machen. Wir hatten aber beschlossen, diesem Teil der Welt auf unserer Fahrt einen Besuch abzustat-ten, waren jedoch nicht willens, am großen Golf von Bengalen vorbeizusegeln, wo wir uns viel Beute erhofften, und darum war es notwendig, uns nicht, bevor wir dorthin gelangten, deshalb auflauern zu lassen, weil man Kenntnis davon hatte, daß wir entweder durch die Straße von Malakka oder durch die 238
Sundastraße kämen, und in beiden Fällen war es sehr leicht, uns daran zu hindern.
Während wir in der Kajüte darüber berieten, führten die Matrosen vor dem Mast die gleiche Diskussion, und ansche inend war dort die Mehrheit dafür, die bedauernswerten Holländer zu den Heringen zu befördern, mit einem Wort, sie waren dafür, daß wir alle ins Meer warfen. Der arme William, der Quäker, war deshalb in großer Sorge und kam unverzüglich zu mir, um mit mir darüber zu sprechen. „Hör mal“, sagte er,
„was willst du mit diesen Holländern tun, die du an Bord hast?
Du wirst sie wohl nicht freilassen, nehme ich an?“ fuhr er fort.
„Wieso, William“, sagte ich, „würdet Ihr mir raten, sie freizulassen?“ – „Nein“, antwortete er, „ich kann nicht sagen, daß es für dich etwas taugte, wenn du sie freiließest, das heißt, wenn du sie ihre Fahrt nach Batavia fortsetzen ließest, denn es wäre dir nicht dienlich, wenn die Holländer in Batavia erführen, daß du dich in diesen Meeren aufhältst.“ – „Nun“, erwiderte ich, „dann weiß ich mir keinen anderen Rat als nur den, sie über Bord zu werfen. Ihr wißt doch, William“, setzte ich hinzu, „ein Holländer schwimmt wie ein Fisch, und alle unsere Leute sind der gleichen Meinung wie ich.“ Während ich dies sagte, beschloß ich freilich, daß das nicht geschehen solle, ich wollte jedoch hören, was William dazu sagen werde. Er antwortete voller Ernst. „Wenn auch alle auf dem Schiff dieser Meinung wären, so kann ich doch niemals glauben, daß du ebenfalls dieser Ansicht bist, denn in allen anderen Fällen habe ich dich gegen die Grausamkeit protestieren hören.“ – „Allerdings, William, das stimmt“, sagte ich, „aber was sollen wir sonst mit ihnen tun?“ – „Wieso“, erwiderte William, „gibt es denn keinen anderen Weg als den, sie zu ermorden? Ich bin davon überzeugt, daß dies nicht dein Ernst sein kann.“ – „Nein, freilich nicht, William“, sagte ich, „es ist nicht mein Ernst; nach Java sollen sie aber nicht fa hren und auch nicht nach Ceylon, das ist gewiß.“ – „Aber diese Leute haben dir doch 239
nichts getan“, sagte William, „du hast ihnen einen großen Schatz weggenommen; weswegen solltest du ihnen denn etwas zuleide tun?“ – „Nein, William“, sagte ich, „davon sprecht nicht; ich kann ein treffendes Argument gegen sie vorbringen, wenn Ihr das möchtet. Mein Argument lautet: Ich muß verhindern, daß sie mir etwas zuleide tun, und das ist ein so unerläßlicher Grundsatz des Gesetzes der Selbsterhaltung wie nur irgendeiner, den Ihr anführen könnt. Die Hauptsache aber ist, daß ich nicht weiß, was ich mit ihnen anstellen soll, um sie am Schwatzen zu hindern.“
Während William und ich miteinander berieten, wurden die armen Holländer von der gesamten Schiffsmannschaft offen zum Tode verurteilt, wie man es nennen kann. Die Männer waren derartig darauf versessen, daß sie sehr laut wurden. Als sie
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