Kapitän Singleton
Anker zu gehen. Wir fanden jedoch keinen 280
geeigneten Ankergrund und stellten fest, daß er uns die Anker kosten würde, denn er bestand nur aus Felsen. Wir liefen durch die Öffnung, die etwa vier Seemeilen breit war. Der Sturm dauerte an, und jetzt fanden wir eine scheußlich unreine Küste und wußten nic ht, welchen Kurs wir steuern sollten. Wir hielten scharf Ausschau nach einem Fluß, einem Schlupfhafen oder einem Golf, wo wir einlaufen könnten, um vor Anker zu gehen, fanden jedoch lange nichts. Endlich sichteten wir eine große Landzunge, die sich weit na ch Süden hin ins Meer erstreckte, und zwar so weit, daß wir, kurz gesagt, folgendes deutlich erkannten: Wenn der Sturm aus der Richtung, aus der er kam, anhielt, vermochten wir ihn nicht abzuwettern; und so segelten wir, so weit wir konnten, im Windschutz der Land-spitze auf die Küste zu und gingen in zwölf Faden Wassertiefe vor Anker.
Aber in der Nacht sprang der Wind wieder um, und da er sehr heftig war, wurden die Anker triftig, und das Schiff trieb, bis das Ruder den Grund rammte; wäre es noch um eine ha lbe Schiffslänge weiter gelaufen, dann wäre es verloren gewesen und wir alle mit ihm. Unser Hauptanker hielt jedoch, und wir hievten einen Teil der Kette ein, um klar zu kommen vom Grund, auf dem wir aufgelaufen waren. An dieser einen Ankerkette ritten wir die ganze Nacht den Sturm ab, und gegen Morgen schien uns der Wind ein wenig nachzulassen; zu unserem Glück war es so, denn trotz allem, was unser Hauptanker für uns vollbracht hatte, fanden wir das Schiff zu unserer großen Überraschung und unserem Schreck am Morgen fest auf Grund.
Mit der Ebbe, bei der das Wasser hier ablief, lag das Schiff fast trocken auf einer harten Sandbank, auf der vermutlich noch nie zuvor ein Schiff gelegen hatte. Die Einwohner des Landes kamen in großer Anzahl herbei, um uns schweigend zu betrachten und zu bestaunen; sie begafften uns wie ein großes 281
Schauspiel oder ein Wunder, das sie verblüffte und bei dem sie nicht wußten, wie sie sich verhalten sollten.
Ich habe Ursache anzunehmen, daß sie, sobald sie das Schiff erblickten, sogleich einen Bericht darüber absandten, daß es sich hier befand und in welchem Zustand es war, denn am nächsten Tag erschien ein hoher Herr. Ob es vielleicht ihr König war, konnte ich nicht sagen, aber er kam in Begleitung vieler Männer, und einige davon hatten lange Wurfspieße in der Hand, so lang wie Bratspieße. Sie kamen alle zum Ufer herunter und stellten sich uns genau gegenüber in ausgezeic hneter Ordnung auf. Sie standen beinahe eine Stunde lang da, ohne sich zu rühren, und dann kamen fast zwanzig von ihnen herbei, und ein Mann, der eine weiße Fahne trug, schritt vor ihnen her. Sie stiegen bis zum Gürtel ins Wasser; die Wellen gingen jetzt nicht mehr so hoch wie zuvor, denn der Wind war abgeflaut und wehte vom Land her.
Der Mann hielt uns eine lange Rede, wie wir aus seiner Mimik entnehmen konnten, und zuweilen hörten wir auch seine Stimme, verstanden jedoch nicht ein Wort von dem, was er sagte. William, der uns immer nützlich war, rettete uns allen, so glaube ich, hier wieder einmal das Leben. Das kam so: Als der Bursche, oder wie soll ich ihn nennen, seine Ansprache beendet hatte, gab er drei laute Schreie von sich (ich weiß nicht, wie ich sie anders bezeichnen könnte); dann senkte er dreimal seine weiße Fahne und winkte uns dreimal mit den Armen, zu ihm zu kommen.
Ich gestehe, daß ich dafür war, das Boot zu bemannen und zu ihnen zu fahren; William wollte das aber auf keinen Fall zulassen. Er erklärte mir, wir dürften niemandem trauen; wenn es Barbaren waren und sie einem Herrscher aus ihrem eigenen Volk unterstanden, dann könnten wir sicher sein, daß sie uns alle ermordeten; waren es dagegen Christen, werde es uns nicht viel besser ergehen, falls sie erfahren hätten, wer wir waren.
Bei den Malabaren herrsche der Brauch, daß sie alle verrieten, 282
deren sie habhaft werden konnten, und diese hier gehörten dem gleichen Volk an; und wenn wir nur im geringsten auf unsere Sicherheit bedacht seien, dürften wir uns um keinen Preis zu ihnen begeben. Ich widersprach ihm lange und sagte, meiner Ansicht nach habe er immer recht gehabt, hier aber dächte ich, dies sei nicht der Fall. Ich hätte ebensowenig wie er oder sonst jemand Lust, ein unnötiges Risiko auf mich zu nehmen, sei aber überzeugt, daß alle Völker der Welt, auch die wildesten, sich, wenn sie eine Parlamentärflagge zeigten,
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