Kapitän Singleton
sehr damit beeilten, einige dort liegende Schaluppen sowie auch ein großes Kriegsschiff zu bemannen und klarzumachen, und es war offensichtlich, daß sie bald hier sein würden. Wir wußten jedoch, was wir tun mußten; wir stellten fest, daß das von uns aufgebrachte Schiff nichts geladen hatte, was für unsere Zwecke von Bedeutung 190
war, außer etwas Kakao, Zucker und zwanzig Fässer Mehl; die übrige Ladung bestand aus Häuten, und so nahmen wir uns alles, was uns nützlich schien, darunter auch die gesamte Schiffsmunition, Kanonenkugeln und Handwaffen, und danach ließen wir es frei. Wir nahmen auch eine zu dem Schiff gehörende Kabeltrosse und drei Anker, die uns dienlich waren, sowie einige seiner Segel. Es blieben ihm genügend, um es in den Hafen zu führen, mehr aber nicht.
Nachdem wir dies getan hatten, behielten wir den Kurs nach Süden längs der brasilianischen Küste bei, bis wir zur Mündung des Janeiro kamen. Da wir aber zwei Tage lang heftigen Wind aus Südost und Südsüdost hatten, waren wir gezwungen, bei einer kleinen Insel vo r Anker zu gehen und dort auf günstigeren Wind zu warten. Während dieser Zeit hatten die Portugiesen anscheinend über Land den dortigen Gouverneur davon benachrichtigt, daß sich ein Pirat an der Küste herum-trieb, und als wir in Sichtweite des Hafens gelangten, sahen wir, daß dort gleich außerhalb der Barre zwei Kriegsschiffe lagen, von denen das eine, wie wir beobachteten, nachdem es die Ankerkette geschlippt hatte, so rasch wie nur möglich unter Segel ging, um sich mit uns zu unterhalten; das andere war nicht so vorwitzig, machte sich aber bereit, dem ersten zu folgen. In kaum einer Stunde liefen beide unter allen verfügba-ren Segeln genau hinter uns her.
Wäre es nicht Nacht geworden, dann hätten sich Williams Worte bewahrheitet; die Männer hätten uns ganz gewiß zur Rede gestellt und gefragt, was wir dort zu schaffen hatten, denn wir sahen vor allem auf der einen Halse, daß das vordere Schiff uns näher kam, da wir uns beim Anluven von ihm entfernten; als wir es aber in der Dunkelheit aus den Augen verloren, beschlossen wir, unseren Kurs zu ändern und auf See hinaus zu halten; wir zweifelten nicht daran, daß wir es während der Nacht abschütteln würden.
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Ob nun der portugiesische Kapitän erriet, daß wir dies vorhatten, oder nicht, weiß ich nicht, am Morgen aber, als es tagte, stellten wir fest, daß er, anstatt sich von uns abschütteln zu lassen, nur eine Seemeile weit entfernt, hinter uns herjagte. Zu unserem Glück aber erblickten wir nur eins der beiden Kriegsschiffe. Es war jedoch ein großes Fahrzeug, mit sechsundvierzig Kanonen bestückt, und ein hervorragender Segler, was daran zu sehen war, daß es schneller war als wir, denn auch unser Schiff war ein ausgezeichneter Segler, wie ich schon erwähnte.
Als ich das feststellte, erkannte ich sogleich, daß es für uns keinen anderen Weg gab als anzugreifen, und da ich wußte, daß wir von diesen Schuften, den Portugiesen – einer Nation, gegen die ich eine eigenartige Abneigung verspürte –, keine Gnade erwarten konnten, teilte ich Kapitän Wilmot mit, wie die Lage war. Der Kapitän sprang, so krank er war, in seiner Kajüte auf und ließ sich an Deck führen (denn er war sehr schwach), um zu sehen, wie die Dinge standen. „Nun“, sagte er, „wir werden gegen sie kämpfen.“
Unsere Leute waren auch schon zuvor sämtlich guter Dinge gewesen, aber als sie den Kapitän, der zehn oder elf Tage lang an einem Fieber krank gelegen hatte, so munter sahen, erfüllte sie das mit doppeltem Mut, und alle Mann gingen ans Werk, um klar Schiff zu machen und bereit zu sein.
William, der Quäker, kam mit einem leisen Lächeln zu mir.
„Freund“, sagte er, „weshalb folgt uns wohl dieses Schiff dort?“ – „Nun“, sagte ich, „um gegen uns zu kämpfen, darauf könnt Ihr Euch verlassen.“ – „Und wird es uns einholen“, fragte er, „was meinst du?“ – „Freilich“, erwiderte ich, „Ihr seht ja, daß es das tun wird.“ – „Na also, Freund“, sagte dieser trockene Kerl, „warum fliehst du dann immer noch vor ihm her, wenn du siehst, daß es dich überholen wird? Wird es besser für uns sein, uns weiter vorn überholen zu lassen als hier?“ – „Das ist alles eins“, sagte ich, „was sollten wir denn 192
Eurer Meinung nach tun?“ – „Tun!“ antwortete er. „Wir wollen doch dem armen Menschen nicht mehr Mühe bereiten als notwendig; laß uns hier auf ihn
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