Kapital: Roman (German Edition)
Iqbal ging, einen belgischen Halbverrückten, den er mehr als zehn Jahre nicht gesehen und der sich dann einfach selbst in seine Wohnung eingeladen hatte, wurden sie nun in einen Topf geworfen. Iqbal-und-Shahid, verbündete Verschwörer, der eine so schlimm wie der andere, zwei Hälften desselben Naanbrotes. Wie sich herausstellte, hatte man seinen Internetanschluss überwacht. Iqbal hatte Jihad-Webseiten aufgerufen, eine Korrespondenz mit verschlüsselten E-Mails geführt und alle möglichen Informationen zu terroristischen Aktivitäten und Anleitungen gelesen und heruntergeladen. Von alledem fand sich auf Shahids Computer jedoch keine Spur.Was bedeutete, dass Iqbal mit seinem eigenen Laptop gearbeitet haben musste. Aber Shahid hatte damit auch nicht das Geringste zu tun. Er hatte nichts damit zu tun! Nichts! Damit! Zu tun! NICHTS DAMIT ZU TUN!
»Okay, er hat mein WLAN benutzt«, sagte Shahid. »Sie wissen, wann er bei mir eingezogen ist. Überprüfen Sie, an welchem Datum das alles angefangen hat. Dazu sind Sie ja ganz offensichtlich in der Lage. Sie werden in den Protokollen nirgends auch nur eine einzige Jihad-Webseite finden, bevor Iqbal bei mir eingezogen ist. Das kann doch nicht so schwer sein, oder? Zwei plus zwei macht vier.«
»Erzählen Sie uns noch mal, wann Sie Iqbal zuletzt gesehen haben«, antwortete der dicke Polizist mit den herabsackenden Schultern, der von allen der Schlimmste war, wenn es darum ging, kein einziges Wort von dem, was Shahid sagte, zur Kenntnis zu nehmen. Und dann fingen sie wieder von vorne an, wieder und wieder und wieder, dieselben wahrheitsgemäß erzählten Geschichten, dieselben Unterbrechungen. Es tröstete ihn nur wenig, dass selbst seine Befrager anfingen, müde und gelangweilt auszusehen, auch wenn sie noch längst nicht so müde und gelangweilt waren wie Shahid selbst. Weiter und weiter und immer im Kreis herum. Und jetzt saß Shahid wieder in seiner Zelle auf dem Boden. Er hatte damit angefangen, nachdem er den Glauben daran verloren hatte, dass sich alles zum Guten wenden würde. Der Kontakt mit dem Boden und der Wand und die zusammengerollte Haltung, in der er in dieser Position zu sitzen gezwungen war, trösteten ihn. Alles andere mochte zwar keinen Sinn mehr ergeben, aber wenigstens war Schwerkraft immer noch Schwerkraft.
Jemand klopfte an der Zellentür. Das allein durchbrach schon die Routine. Wenn sie ihn für die Vernehmungen abholten, öffneten sie einfach die Tür, und wenn sie ihm dieses scheußliche fade Essen brachten, dann schoben sie es durch die Klappe. Niemand klopfte je an der Tür. Shahid saß einen Moment lang bewegungslos da, dann sagte er, wie er hoffte, mit ironischem Unterton:
»Herein!«
Die Tür öffnete sich, und ein Polizeibeamter betrat das Zimmer, gefolgt von einer Frau mittleren Alters, die einen Hosenanzug trug und einen schmalen Aktenkoffer aus braunem Leder in der Hand hatte. Der Beamte nickte ihr zu und ging dann wieder hinaus. Die Frau lächelte auf eine Weise, die kein bestimmtes Gefühl ausdrücken, sondern ihm einzig und allein signalisieren sollte, dass sie es gut mit ihm meinte. Sie wies mit der Hand auf den Boden neben Shahid und fragte:
»Darf ich?«
Er nickte. Sie setzte sich genau wie er im Schneidersitz auf die Erde.
»Mein Name ist Fiona Strauss. Ihre Familie hat mich damit beauftragt, Sie als Anwältin zu vertreten.«
Shahid merkte, wie sich seine Augen mit Tränen füllten. Einen Moment lang war er nicht in der Lage, etwas zu sagen.
»Ich bin erstaunt, dass wir uns jemanden wie Sie leisten können«, sagte er schließlich. Ohne es zu ahnen, hatte Shahid genau das Richtige gesagt. Die Bemerkung brachte dezent zum Ausdruck, wie wichtig und bedeutsam die Anwältin war. Und gleichzeitig bekam Fiona Strauss, die tatsächlich eine aufrechte Kämpferin gegen alles war, was sie für ungerecht hielt, dadurch den Eindruck, dass dieser junge Mann, der auf dem Boden seiner Zelle saß, sie brauchte. Sie war eine komplizierte Person mit einer recht unkomplizierten Betrachtungsweise. Er war das Opfer einer Ungerechtigkeit, und er brauchte sie.
»Ich arbeite pro bono«, sagte Fiona Strauss mit einem leisen Lächeln. Dann holte sie ein Notizbuch mit Ringbindung aus ihrer Aktentasche, öffnete es und hielt es Shahid vor Augen. Auf der Seite stand:
»Unser Gespräch wird mit größter Wahrscheinlichkeit abgehört.«
»Alles klar«, sagte Shahid.
»Mir wurde gesagt, Sie hätten eine Verzichtserklärung auf ihr Recht auf
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