Kapital: Roman (German Edition)
mit einer Reihe von Personen, die für den MI5 von Interesse waren. Man beschloss daraufhin, die Überwachung während seines Aufenthalts im Vereinigten Königreich permanent laufen zu lassen. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt nahm Iqbal Kontakt zu Shahid auf, der zunächst für den Geheimdienst ein vollkommen unbeschriebenes Blatt war. Als sie dann seinen Fall näher untersuchten, stellten sie fest, dass er in Tschetschenien gewesen war und dort Leute kennengelernt hatte,die später zu Al-Qaida-Trainingscamps gegangen waren. Sie fingen an, sowohl Shahid als auch Iqbal zu überwachen, und es wurde deutlich, dass der Belgier in irgendetwas verwickelt war. Dabei handelte es sich entweder um einen düsteren, raffinierten und schon ziemlich weit gediehenen Plan, demzufolge ein bedeutendes Element der europäischen Infrastruktur zerstört werden sollte – man ging davon aus, dass es sich dabei um den Eurotunnel handelte –, oder nur um leeres, großspuriges Gequatsche einer Gruppe von wutschnaubenden jungen Idioten, die voreinander angeben wollten. Normalerweise wurde in einem solchen Fall gewartet, bis einer der Beteiligten tatsächlich etwas unternahm, das ganz unverhohlen terroristische Absichten erkennen ließ. Erst dann verhaftete man die ganze Gruppe. Die britische Polizei hatte diese Vorgehensweise schon immer bevorzugt, im Gegensatz zu dem, was in Amerika üblich war. Dort ging man besonders seit dem 11. September wesentlich radikaler vor und versuchte im Wesentlichen, solche Verschwörungen schon im Keim zu ersticken, indem man alle Beteiligten zu einem sehr frühen Zeitpunkt verhaftete. Aber bei einer so frühen, nur auf dem reinen Verdacht einer Konspiration beruhenden Verhaftung waren britische Geschworenengerichte nicht sehr geneigt, den Angeklagten auch schuldig zu sprechen. Deswegen blieb die Polizei lieber bei ihrer alten Methode und nahm Verhaftungen so spät wie möglich vor. Zu diesem Zeitpunkt wurde jedoch einer der Männer, die mit der Gruppe in Verbindung standen, dabei aufgegriffen, wie er in der Tschechischen Republik versuchte, Semtex zu kaufen. Nun stand der Geheimdienst vor der Wahl, abzuwarten, was die Verschwörer als Nächstes tun würden, oder einzuschreiten und zu hoffen, dass die bis dahin vorliegenden Beweise für eine Verurteilung ausreichten. Nach einigen Diskussionen entschied man sich widerstrebend, die Verhaftungen vorzunehmen, nachdem Iqbal Rashid Shahids Wohnung verlassen hatte und verschwunden war; und als Resultat dieser Aktion saß Shahid nun in einer Zelle in der Paddington-Green-Polizeistation.
Iqbals Verwicklung in die Verschwörung, falls es eine solche tatsächlich gab, war unumstritten. Aber bei Shahid sah die Sache vollkommen anders aus. Die einzigen Beweise, die gegen ihn vorlagen, waren die Aktivitäten im Internet während der Zeit, in der Iqbal bei ihm gewohnt hatte. Jemand hatte Jihad-Webseiten besucht und verschlüsselte E-Mails ausgetauscht. Besonders die verschlüsselten E-Mails waren ein sehr deutlicher Beweis dafür, dass etwas faul war – so deutlich wie ein Fingerabdruck –, denn ohne finstere Absichten würde sich niemand die Mühe machen, bei der Datensicherung eines Computers so schwere Geschütze aufzufahren. Für einige der Geheimdienstmitarbeiter – zu denen Amir, der asiatische Beamte, und auch Clarke, der müde, dickliche Beamte von der Sicherheitspolizei gehörten – war es ganz offensichtlich, dass Shahid nichts mit der ganzen Sache zu tun hatte. Schlimmstenfalls war er ein für Iqbal nützlicher Idiot gewesen, der bereit gewesen war, einem Mann Zuflucht und Unterkunft zu gewähren, von dem er wusste, dass er nichts Gutes im Schilde führte. Andere jedoch, unter ihnen auch Beamte des MI5 und ursprünglich mit der Überwachung betraut, waren davon überzeugt, dass niemand so naiv sein konnte. Wegen Shahids halbjihadistischer Vergangenheit und seiner Verbindung zu dem Terroristen Iqbal lag es für sie auf der Hand, dass er zu den Hauptfiguren der Verschwörung gehörte. Zwar gab es dafür kaum direkte Beweise, aber das zeigte ihrer Ansicht nach nur, dass er überaus vorsichtig war – mit anderen Worten, das Fehlen von Beweisen war selbst ein wichtiger und sehr verhängnisvoller Beweis.
»Schwachsinn«, sagte Amir. »Totaler Schwachsinn. Vollkommen absurd. Die Tatsache, dass nichts gegen ihn vorliegt, soll ein Beweis dafür sein, dass er ein ausgebildeter Terrorist ist? Was für ein Quatsch.«
»Er hat die dazu passende Vergangenheit«, sagte der
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