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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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Geschichte mit dem Koffer beichtete, dem Koffer, in dem sich eine halbe Million Pfund befand, den nie jemand vermisst hatte, dessen Besitzer schon vor langer Zeit gestorben war und der jetzt einer Person gehörte, die gar nichts davon wusste und deren Leben durch die Abwesenheit des Geldes überhaupt nicht beeinträchtigt wurde, eine Person, deren Haus allein bereits Millionen wert war, die also (nur um das mal vollkommen klarzustellen) ohnehin stinkreich war, die das Geld nicht brauchte, nicht davon wusste, es nicht vermisste oder überhaupt nur etwas von seiner Existenz ahnte; während in der Zwischenzeit er das Geld inseinem Besitz gehabt hatte, er, Zbigniew, dessen Leben es vollkommen auf den Kopf stellen würde, dessen zahlreiche Ambitionen sich von einem Moment auf den anderen verwirklichen ließen, einfach dadurch, dass er das Geld an sich nahm – die Jahre der Ruhe und Behaglichkeit, die das seinen Eltern verschaffen würde, die Chance, seinen beruflichen Erfolg zu begründen, die plötzlichen Finanzierungsmöglichkeiten, die ihm zur Verfügung stünden, die Tatsache, dass er sich weiterentwickeln, Leute anstellen, Reichtum schaffen, sein Glück mit anderen teilen konnte, seinem Vater ein rosenumranktes Häuschen kaufen konnte und Matya gleich noch eins dazu, und ein Bett mit einer wunderbaren, festen Matratze – so dass der Reichtum bei der einen Person also vollkommen überflüssig, bei der anderen dagegen zutiefst herbeigesehnt und auch total verdient war – nun, wenn er also diese Zwangslage, dieses Dilemma jemandem beichtete, dann würde diese Person vielleicht, eventuell, möglicherweise sagen: Sei doch kein Idiot, du musst das Geld selbst behalten, bist du denn wahnsinnig? Es wäre eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, wenn du das nicht tätest. Es wäre Raub – du würdest dich selbst berauben. Das könnte die Person, der er beichtete, möglicherweise sagen. Vielleicht. Er hoffte es. Andererseits jedoch – und Zbigniew war zu der Überzeugung gelangt, dass das wesentlich wahrscheinlicher war, auch wenn er immer noch fest entschlossen war zu beichten – war es auch möglich, dass sie fand, es gäbe da überhaupt nichts zu diskutieren. Sie könnte den genau entgegengesetzten Standpunkt einnehmen. Sie könnte sagen, dass es doch ganz offensichtlich war, dass er überhaupt keine andere Wahl hatte, als das Geld zurückzugeben – dass es moralisch vollkommen außer Frage stand –, und dass er das Geld praktisch gestohlen hatte. Sie könnte zu dem Schluss kommen, dass Zbigniew nicht der Mensch war, für den sie ihn gehalten hatte, dass man jemandem, der in der Lage war, so etwas zu tun – monatelang einen Koffer mit 500000 £ zu behalten, die das Eigentum eines anderen Menschen waren –, nicht trauen konnte. Das Gespräch, in dem erihr von dem Koffer erzählte, war möglicherweise das letzte Gespräch, das er je mit ihr haben würde.
    Mit diesen Gedanken im Kopf und von unzähligen Befürchtungen geplagt, zog Zbigniew sich an und ging die Treppe hinunter. Das Haus Nummer 42 in der Pepys Road war fast fertig. Den Streicharbeiten im Erdgeschoss fehlte noch der letzte Schliff, dann musste Mrs Leatherby kommen, sich das Ganze anschauen, auf Sachen hinweisen, mit denen sie nicht zufrieden war, und dann käme die ganze Geschichte zum Abschluss. Die Ära der Pepys Road in Zbigniews Leben wäre vorbei. Vielleicht würde ja eine neue Ära beginnen; er hoffte das jedenfalls sehr. Es hing alles davon ab, was Matya sagte.

98
    »Was, jetzt? Jetzt sofort? Du meinst doch sicher nicht jetzt sofort?«, fragte Zbigniew.
    Sie saßen in einem Café an der Hauptstraße und hatten die Köpfe zusammengesteckt. Eigentlich hatten sie geplant, bei ihrer Verabredung erst einen Kaffee zu trinken, sich dann einen Film anzuschauen, anschließend etwas essen zu gehen und danach – wer weiß? Sie hatte noch nie schöner ausgesehen als in diesem Augenblick. Doch jetzt gab es, wie es schien, einen ganz neuen Plan.
    »Jetzt sofort. In dieser Sekunde. Du brichst von hier aus auf, jetzt, und fährst zu ihr. Aber vorher rufst du an. Aber du wirst hinfahren.«
    »Aber es ist Sonntag Nachmittag!«
    »Na und?«
    Zbigniew blies die Wangen auf.
    »Jetzt sofort«, sagte er. Das war Matyas Lösung für sein Problem. Sie hatte ihn nicht verurteilt oder kritisiert oder hinterfragt – was er, wie ihm nun klar wurde, sowohl gefürchtet als auch erwartet hatte. Aber ebenso wenig war sie der Typ, der sagte: Nimm das Geld und mach dich aus dem

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