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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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den Ort zurückgeschickt zu werden, aus dem man unter größten Gefahren und dem Einsatz seines Lebens geflohen war.
    Alle waren von dem Thema der Ernährung besessen. Eine der fünfzehn Forderungen der Häftlinge, die sich im Hungerstreik befanden, lautete: »Wir wollen etwas zu essen bekommen, das auch wirklich essbar ist.« Und das war durchaus nicht als Scherz gemeint. Quentina hatte zwar auch in der Zuflucht nicht gerade wie eine Prinzessin diniert, aber verglichen mit diesem Ort war es ein Siebensternehotel gewesen. Die Mahlzeiten sahen nicht nur unappetitlich aus, sie stanken noch dazu. Das Fleisch roch jedes Mal, als sei es schon verdorben. Es fehlten jegliche Gewürze im Essen; alles schmeckte nach nichts. Der Nachtisch war sogar noch klumpiger und ungenießbarer als das Hauptgericht. Das einzig Essbare, was Quentina während der ersten zwei Wochen ihres Aufenthalts zu Gesicht bekam, war Obst – kraftloses, schlaffes, zerquetschtes Obst zwar, aber immerhin Obst, so willkommen wie ein Geschenk des Himmels. Sie nahm sehr viel stärker ab, als sie das je in ihrer Zeit als Politesse geschafft hatte, in der sie noch zehn Meilen am Tag gelaufen war.
    Als sie das Makela erzählte, musste die Frau aus Nigeria lächeln.
    »So fängt es an«, sagte sie. »Das Erste, was die Leute hier verrückt macht, ist immer das Essen.«

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    Vielleicht würde es ja heute passieren. Könnte es heute sein? Oder auch nicht. Womöglich passierte es ja auch nie. Es wäre vielleicht besser – nein, es wäre sogar mit Sicherheit besser –, wenn es überhaupt nicht passieren würde. Es gab auch gar keinen Grund zu denken, dass es passieren würde, und noch viel weniger war es wünschenswert, dass es passieren würde. Alles in allem war also davon auszugehen, dass es nicht passieren würde. Aber was, wenn doch?
    Matya machte sich für eine Verabredung mit Zbigniew bereit. Sie befand sich in ihrer neuen Wohnung, genauer gesagt, in ihrer neuen Wohngemeinschaft in Brixton, oder auch Herne Hill, je nachdem, denn man konnte sich zu beiden Stadtteilen zählen, es hing ganz davon ab, ob man cool oder eher vornehm wirken wollte. Es war ein Glücksfall gewesen, dass sie diese Wohnung überhaupt entdeckt hatte – einer jener ganz seltenen Glücksfälle, die man manchmal bei der Wohnungssuche in London erlebte. Eine ungarische Freundin hatte ihr den Tipp gegeben. Bei einer ihrer Kolleginnen hatte ein Zimmer leer gestanden, und diese suchte eine einigermaßen normale, solvente, nichtrauchende Mitbewohnerin, die nicht gegen Katzen allergisch war, der es nichts ausmachte, keinen Fernseher zu haben, und die bereit war, während ihrer arbeitsbedingten Abwesenheiten ab und zu nach ihrer verwitweten Mutter zu schauen, die im Erdgeschoss wohnte. Das Vorstellungsgespräch und das Überprüfen der Referenzen dauerten ganze zehn Minuten. Matya bekam die Wohnung sofort angeboten und zog bereits am nächsten Tag ein. Zbigniew lieh sich Piotrs Transporter aus und verfrachtete ihre Habseligkeiten in die neue Wohnung.
    Zbigniew. Um ihn ging es hier. Matya zog sich für eine Verabredungmit ihm um, und aus irgendeinem Grund, dem sie nicht näher nachgehen wollte, hatte sich in ihrem Kopf der Gedanke festgesetzt, dass er sich bei genau dieser Verabredung an sie ranmachen würde, und dass sie dann entweder mit ihm schlafen würde oder auch nicht. Es war schwer zu sagen, wie genau es dazu gekommen war, dass sie an diesen Punkt gelangt waren; wie aus einer Person, mit der sie ganz bestimmt nicht, definitiv niemals ausgehen würde, jemand hatte werden können, den sie tatsächlich mochte. Und dabei gab es so viele Punkte, die gegen ihn sprachen. Er war Pole. Matya fand Polen selbstgefällig und egozentrisch. Er war nicht reich. Und wenn es eine Sache gab, die für sie absolut unverzichtbar war, dann war es die, dass der Mann in ihrem Leben seriös und wohlhabend sein musste. Er war Handwerker – was letztendlich gleichbedeutend damit war, nicht reich zu sein –, und Matya wollte unbedingt einen Mann, der in der Wirtschaft oder in einem Bürojob arbeitete und der sich so sehr wie möglich von den Typen unterschied, die sie aus ihrer Heimatstadt kannte.
    Und doch … hier war sie nun und zog ihren schönsten Slip an, den rosafarbenen mit den schwarzen Spitzen, und ihren wirkungsvollsten BH und auch die Jeans, die alle Männer immer so toll fanden und die ihr jedes Mal die meisten anerkennenden Blicke eintrugen, wenn sie die Straße entlangging oder sich in einer Bar

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