Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
Vom Netzwerk:
war sein Eifer nicht echt, und er wollte nur angeben.
    Der polnische Handwerker hatte einen zerbeulten, alten, braunen Koffer dabei. Wie üblich schüttelte er Mary sehr förmlich die Hand. »Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass ich so kurzfristig vorbeikommen durfte«, sagte Zbigniew.
    »Kommen Sie doch rein«, sagte Mary. Das Dach ist eingestürzt. Einer meiner Hilfsarbeiter ist bei einem Unfall ums Leben gekommen. Ich habe die Woche über bei meiner Freundin gewohnt, und in der Zwischenzeit haben sich ein paar Hausbesetzer auf Ihrem Grundstück breitgemacht. Ich habe Ihre Unterschrift auf einem juristischen Schriftsatz gefälscht, und das Haus in der Pepys Road 42 gehört jetzt mir. Das Haus ist abgebrannt, und ich wollteIhnen das lieber persönlich mitteilen. Während der Monate, die ich im Haus Ihrer Mutter gearbeitet habe, sind Sie mir immer vertrauter geworden, und ich habe mich in Sie verliebt: Bitte brennen Sie mit mir durch. Aber das Verhalten des Handwerkers passte zu keiner dieser Möglichkeiten. Er wirkte gedankenverloren, aber er sah nicht aus wie jemand, der eine Katastrophennachricht überbringt.
    »Kann ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten?«, fragte Mary und führte ihn ins Wohnzimmer.
    »Könnte ich vielleicht einen Kaffee bekommen?«
    »Kaffee«, sagte Mary. Sie ging aus dem Zimmer und machte sich in der Küche zu schaffen, während er im Wohnzimmer wartete. Als sie zurückkam, stand er immer noch am Fenster, starrte auf die nichtssagende Hausauffahrt und hielt nach wie vor den Koffer in der Hand. Mary goss ihm eine Tasse Kaffee ein, setzte sich und forderte ihn auf, ebenfalls Platz zu nehmen. Dann wartete sie.
    »Mrs Leatherby«, sagte Zbigniew. »Das ist jetzt nicht ganz leicht zu erklären. Es wäre vielleicht besser, ich zeige es Ihnen einfach.« Er drehte den Koffer um, so dass er in ihre Richtung zeigte, und öffnete ihn. Zbigniew beobachtete ihren Gesichtsausdruck.
    »Fünfhunderttausend Pfund«, sagte er.
    Später würde sich Mary immer daran erinnern, wie schnell ihr klar geworden war, was hier geschehen war. Es war kein langwieriger Prozess gewesen. Sie hatte es ganz unmittelbar und sofort gewusst. Dabei hatte es natürlich etwas geholfen, dass sie den Koffer wiedererkannt hatte. Ja, das war die Erklärung. Der Koffer hatte es ihr erzählt. Papa, Bargeld, Koffer, Versteck, plötzlicher Tod, der Handwerker findet es, weiß nicht, was er tun soll, macht schließlich reinen Tisch. Sie verstand auf Anhieb. Es war ganz klar, was passiert war – er hatte das Geld gefunden und hatte dann nicht die geringste Ahnung gehabt, was er damit tun sollte. Mary wusste, wie sich das anfühlte.
    Interessant war, was er über das Geheimfach erzählte. Ihr Vater war recht praktisch veranlagt gewesen, was natürlich auch mit seinemfanatischen Geiz zusammenhing. Er war zwar nicht unbedingt gerne selbst zum Heimwerker geworden, aber seine Sparwut war so groß gewesen, dass er sich dennoch überwunden hatte. Dieses Versteck hatte er also ganz offensichtlich selbst gebaut. Das sah ihm ähnlich. Er musste geplant haben, sein Geheimnis mit großem Trara zu enthüllen. Mit ziemlicher Sicherheit hatte er den Koffer in der Hinterhand behalten, um mit seiner Hilfe eine Auseinandersetzung mit seiner Frau zu gewinnen. Er hatte sich das bestimmt ungefähr so vorgestellt: Petunia würde etwas darüber sagen, wie sie für die finanzielle Sicherheit im Alter sorgen mussten, etwas Geld, um die Rente aufzubessern, die zu seinen Lebzeiten nicht besonders hoch und nach seinem Tod noch viel dürftiger sein würde. Sie würde fordern, dass er bessere Vorsorge traf, und er würde, um sie zu provozieren, darüber reden, wie man niemandem im Bankwesen trauen konnte, dass das alles Diebe waren; sie würde sich aufregen, und dann würde er den Koffer hervorholen und seine großartige Enthüllung zelebrieren: Siehst du, wie ich für dich gesorgt habe. Ich mag ja schrullig sein, aber ich bin nicht blöd. Er würde ihr das Geld zeigen, die Ersparnisse, die er bar in Scheinen gehortet hatte, unter dem Bett oder irgendwo sonst, jahrelang, jahrzehntelang. Und Petunia würde in Tränen ausbrechen und ihm vergeben und sich entschuldigen und wütend sein – alles gleichzeitig. Genau diese Wirkung hatte ihr Vater immer auf seine Umgebung gehabt. Aber so war es nicht gewesen. Es war ein Glück, dass er nicht gesehen hatte, was nach seinem Tod passiert war. Er wäre geplatzt vor Wut.
    Nachdem der Pole gegangen war, saß Mary einfach nur da. Das Wetter

Weitere Kostenlose Bücher