Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
Vom Netzwerk:
Freddy auf die Schulter.
    »Ich schicke dich vielleicht am Ende der zweiten Hälfte raus«, sagte er durch den Dolmetscher. »Nur für ein paar Minuten.«
    Freddy nickte. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn der Trainer ihm nichts gesagt hätte; jetzt würde er während der gesamten zweiten Halbzeit nervös sein. Es kam ihm nicht in den Sinn, dass genau das die Absicht des Trainers gewesen war – ihm einen Vorgeschmack auf die Erwartungen und den Druck zu geben, die auf ihm lasten würden. Wieder zurück auf der Bank, konzentrierte sich Freddy auf den Linksverteidiger, der ihn beschatten würde. Er schien eher langsam zu sein. Freddy gewann an Selbstvertrauen, und das verstärkte sich noch, als ihr Mittelfeldspieler – der, der zwanzig Millionen Pfund gekostet hatte – einen Freistoß verwandelte und sie mit drei Toren in Führung brachte.
    Als nur noch fünf Minuten zu spielen waren, schickte ihn der Trainer zum Aufwärmen. Zwei Minuten vor Schluss rief er ihn zu sich, winkte dem Linienrichter, der Freddys Stollen prüfte und daraufhin dem Schiedsrichter ein Zeichen gab, und dann warFreddy auf dem Feld. Er lief auf die gegenüberliegende Seite. Seine Anweisungen waren sehr einfach: Er sollte sich für Pässe bereithalten, eventuell eine Flanke schlagen, falls möglich, und wenn nicht, den Ball im Mittelfeld halten.
    In diesem Moment wurde Patrick auf der Tribüne plötzlich von einem Strudel der Gefühle übermannt, den er sich nicht erklären konnte: Er verspürte eine fast fiebrige Angst und wurde von lauter zwiespältigen Erinnerungen und Eindrücken aus der Kindheit seines Sohnes heimgesucht: wie er ihn zum ersten Mal in seinen Armen hielt, wie Freddys Mutter starb, wie sie auf der staubigen Erde vor dem Haus den Ball kickten, wie er Freddy zuschaute, während er in der Schulmannschaft spielte und sein erstes Tor für sie schoss, wie er seine Hand auf Freddys Stirn legte, als er krank war, wie er ihn zu Spielen fuhr und wieder abholte, wie er Hunderte, vielleicht Tausende Male dastand und ihm beim Spielen zusah, wie er seine Schrammen mit Jod desinfizierte und ihn tröstete, wenn er Albträume hatte. Sein erstgeborenes Kind, sein einziger Sohn. Patrick spürte, wie sich ihm der Magen umdrehte, während er dabei zusah, wie Freddy auf das Feld hinaustrabte. Seine unbeholfenen, viel zu langen Beine sahen in diesem riesigen überfüllten Stadion und auf dem Feld mit Männern, die fünfzehn Jahre älter waren als er, noch viel dünner und unproportionierter aus. Patrick spürte, dass etwas mit seinem Gesicht nicht stimmte. Er fasste sich an die Wangen; sie waren nass von Tränen.
    Die Menge brüllte. Die meisten von ihnen wussten, wer Freddy war, aber sie hatten ihn noch nie spielen sehen. Der Ball war in der gegnerischen Hälfte, und das andere Team schob sich seitlich und rückwärts die Pässe zu, in dem Versuch, eine nicht vorhandene Lücke zu finden. Dann gewann der Innenverteidiger, der auch gleichzeitig ihr Kapitän war, einen Zweikampf und passte den Ball in die Nähe des Anstoßkreises, zu dem Zwanzig-Millionen-Pfund-Mittelfeldspieler. Der schaute sich um und spielte dann einen kurzen Pass zu dem defensiven Mittelfeldspieler, der den Ball mit nur einer Berührung sofort zu Freddy weiterleitete. Espassierte alles sehr schnell, aber Freddy hatte nichts anderes erwartet. Er hatte so etwas schon einmal erlebt. Wenn ein Spieler, egal in welcher Sportart, einen Level höher steigt, dann ist sein erster, überwältigender Eindruck, dass plötzlich alles viel, viel schneller geht, als er es gewohnt ist. Es ist nicht so, als würden die anderen Dinge tun, die er noch nie zuvor gesehen hatte; sie taten sie einfach nur schneller und besser und öfter.
    Der gegnerische Linksverteidiger, dessen Namen Freddy nicht kannte, war ungefähr zwei Meter entfernt. Zu Hause, in Afrika, hatte er einen Trick gehabt, den er so oft angewandt hatte, dass er schon längst nicht mehr funktionierte, wenn er vor seinem Haus in Linguère mit seinen Freunden kickte, denn sie – und auch alle anderen Menschen in Linguère – hatten ihn schon Millionen Mal gesehen. Aber hier kannte ihn niemand. Die Bewegung war Freddy noch vertrauter als sein eigenes Spiegelbild und fiel ihm so leicht, wie morgens aus dem Bett zu steigen. Er täuschte mit dem linken Fuß einen Sprung in Richtung Ball an, ließ ihn aber dann vorbeirollen und spielte ihn stattdessen mit rechts. Sein Gewicht verlagerte sich, und er wechselte die Richtung, alles in einer

Weitere Kostenlose Bücher