Kapital: Roman (German Edition)
Kinder sie wohl vermissten – und wenn ja, wie sehr.Sie wartete einfach, bis diese Momente der Unsicherheit ganz von selbst wieder verschwinden würden, was sie dann auch taten.
Beim Abendessen kamen sie und Saskia mit einem Ehepaar am Nachbartisch ins Gespräch, einem Anwalt aus Südafrika und seiner Frau, deren Zwillingstöchter gerade das Jahr zwischen Schule und Studium überbrückten, indem sie durch Lateinamerika reisten. Saskia war zu diesem Zeitpunkt bereits ein wenig beschwipst. Sie hörte nicht auf zu kichern und warf dem Ehemann schmachtende Blicke zu. Er hatte es unfairerweise geschafft, wie viele andere Männer auch, sein gutes Aussehen zu bewahren, im Gegensatz zu seiner Frau, die wesentlich schneller gealtert war. Unter anderen Umständen wäre Saskias Verhalten vielleicht lustig gewesen, aber sie zeigte ihr Interesse so überdeutlich, dass das Ganze eigentlich schon ein bisschen traurig war …
Saskia und ihre neuen Freunde gingen in den Salon, um einen Likör zu trinken – wobei die Ehefrau einzig darum bemüht zu sein schien, das Beste aus einem Abend zu machen, der ohnehin nicht mehr lange dauern konnte. Arabella wusste, dass sie am nächsten Morgen einen Kater haben würde, wenn sie noch mehr Alkohol trank, und einer der Gründe, warum sie in dieses Luxushotel gefahren war, bestand ja schließlich darin, dass sie absolut fabelhaft aussehen und sich auch so fühlen wollte, wenn sie nach Hause kam. Also ging sie auf ihr Zimmer und las einen Roman, der in Afghanistan spielte, bis sie merkte, dass sie schon zweimal über dem Buch eingeschlafen war. Daraufhin legte sie das Buch auf den Nachttisch und löschte das Licht.
29
Am zweiten Weihnachtsfeiertag saß Freddy Kamo zum ersten Mal bei seinem neuen Club auf der Bank. Er wusste, dass er sich im Training gut geschlagen hatte, aber er war trotzdem überrascht, dass man ihn aufgestellt hatte. Die Partie ging gegen das Team, das in der Liga auf dem letzten Platz stand. Der Trainer hatte ihm die Sache ganz genau erklärt.
»Du wirst nicht lange zum Einsatz kommen, wenn überhaupt«, sagte er mit Hilfe des Dolmetschers. »Aber du wirst dadurch ein Gefühl dafür bekommen, wie es da draußen ist. Das hier ist unser leichtestes Spiel während der Feiertage, und ich werde den Kader abwechselnd einsetzen. Und vergiss nicht«, und hierbei lächelte er, »sieh zu, dass du da draußen Spaß hast.«
Diesen Rat wollte Freddy auf jeden Fall befolgen, aber das war nicht ganz so leicht, wie es sich anhörte. Beim Aufwärmen hatte er noch keine Probleme, aber als er aus dem Tunnel trat und vor dem Anstoß zu seinem Platz auf der Bank lief, fühlte sich alles vollkommen anders an. Die Hochspannung, die dort draußen herrschte, und der irrsinnige Krach – darauf konnte man einen Spieler unmöglich vorbereiten. So sah der Ernstfall aus. Er war schon oft im Stadion gewesen, aber es war alles ganz anders, wenn man tatsächlich auf der Bank saß. Diese riesige Menschenmenge, die unglaubliche Lautstärke und emotionale Intensität, die von ihr ausging – all das brach mit einer solchen Macht über ihn herein, als würde ihn jemand körperlich angreifen. Freddy spürte, wie sein Puls raste. Er bemühte sich eine Weile, dem Drang zu widerstehen, zu seinem Vater hinüberzuschauen, der, wie er wusste, auf der Tribüne neben Mickey Lipton-Miller saß. Doch dann gab er der Versuchung nach und schaute sich um. Sein Vater starrte zurück, ohne zu lächeln und mit todernstem Gesichtsausdruck. Dashalf Freddy dabei, sich wieder zu beruhigen. Die Tatsache, dass sein Vater so nervös war, erlaubte es ihm, sich zu entspannen. Der Dolmetscher kam und quetschte sich neben Freddy auf die Bank. Freddy konnte riechen, dass er ein Glas Wein zum Mittagessen getrunken hatte.
Der Schiedsrichter pfiff das Spiel an, und innerhalb von zwanzig Minuten führte Freddys Team mit zwei Toren. Freddy vermochte kein richtiges Muster im Spiel zu erkennen, aber er konnte sehen, dass seine Mannschaft sich ihre Chancen mehr oder minder nach Belieben erspielte. Und der Stürmer hatte keine großen Schwierigkeiten, diese Chancen auch zu verwandeln. Es schien unwahrscheinlich, dass es lange bei dem 2:0 bleiben würde, aber die Mannschaft lockerte den Druck ein wenig und setzte dem Gegner nicht mehr so stark zu. Die Halbzeitpause kam schneller, als er erwartet hatte. Der Trainer sagte nicht viel, nur, dass sie so weiterspielen sollten. Während sie am Ende der Halbzeitpause die Kabine verließen, klopfte er
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