Kapitalismus Forever
und wo steht in den Geschichtsbüchern. Das scheint unvermeidlich. Aber als das Römische Reich kollabierte, da war es auch wirklich kaputt und weg, aus und vorbei. Wenn hingegen das Kapital zusammenbricht, was es wie alles Irdische von Zeit zu Zeit und sogar ziemlich oft tut, steht es danach umso besser da.
Die »zweite Natur«, wie Marx das Kapitalverhältnis gelegentlich auch nannte, weil es den Menschen mit der Macht einer fremden, undurchschauten und ungebändigten Naturgewalt entgegentritt, diese »zweite Natur« also gleicht der ersten auch in dem Sinne, dass ihr jedes Ende ein Anfang ist und das, was den Menschen als eine Katastrophe erscheint, nur ein verschwindendes Moment im unendlichen Prozess, welcher aus der Abfolge solcher Momente besteht.
Manche werden vielleicht einwenden: Trotzdem sind Konjunktur- und Krisenprognosen wichtig. Man muss schließlich wissen, was einem blüht. Wozu? Krisenprognosen sind so nützlich wie etwa die Diagnose, man sei unheilbar an Krebs erkrankt, oder wie die Vorhersage, der nächste Sommer werde Dauerregen bringen. Je später man das weiß, desto besser. Denn tun kann man dagegen nichts, das Wissen verdirbt einem nur im Voraus schon die Laune. Es gibt eben Dinge, die man besser nicht so genau weiß. Möchte jemand zum Beispiel heute schon sein genaues Sterbedatum kennen? Er hätte am Leben dann vermutlich nicht mehr viel Spaß.
Das einzig Gute an dem Krisengequatsche ist, dass es kein Mensch mehr ernst nimmt. Verglichen mit Konjunkturforschung ist Astrologie exakte Wissenschaft. Manche sagen auch: Aber Krisenprognosen sind sinnvoll, weil sie die Bevölkerung gegen das System mobilisieren, das solche Krisen hervorbringen.
Ach woher! Es ist doch so: In der Krise zeigt das Kapital den Menschen seine Krallen. Es zeigt ihnen, wie restlos abhängig von ihm sie sind. Nur das Kapital kann sie vor der Verelendung bewahren, nur das Kapital kann sie retten. Und wenn es zum ganz großen Kladderadatsch kommt, werden sie noch einmal von den Vorzügen und der Unausweichlichkeit der freien Marktwirtschaft überzeugt. Bricht alles zusammen, so ist das erste Pflänzchen, das in den Ruinen erblüht, der Schwarzmarkt. Viele verdanken ihm ihr Leben. Nur er kann die Versorgung der Bevölkerung noch halbwegs zustande bringen, wenn der Staat nicht mehr funktioniert. Und auf dem Schwarzmarkt werden die Vermögen verdient, die später das Startkapital für florierende Unternehmen sind, wir kennen das doch aus der Nachkriegsgeschichte.
Wenn eine Partie zu Ende ist, beginnt die nächste. Neues Spiel, neues Glück, wie bei Monopoly. Marxisten begreifen natürlich nicht, wie simpel der Kapitalismus im Prinzip ist. Kein Experte gibt zu, dass seine Expertise sinnlos und nutzlos ist.
Wenn man als Marxist unter Marxisten so spricht, erntet man fassungslose Staunen: Und du glaubst wirklich, dass das immer so weiter geht? Dass es nicht irgendwann den ganz großen Knall gibt? Damit ist natürlich ein Ereignis gemeint, das etwas ganz Neues, noch nie Dagewesenes wäre. Und daran glaube ich wirklich nicht. Dies Gerede vom »totalen Zusammenbruch« und der »Barbarei« ist nichts anderes als christliche Untergangsmystik. Schon Jesus hatte seinen Jüngern das Ende der Welt noch zu deren Lebzeiten prophezeit, als Ansporn, sich bei der Werbung neuer Mitglieder ein bisschen zu beeilen.
Auf den kapitalistischen Weltuntergang warten wir jetzt schon geschlagene 150 Jahre, und immer noch können die marxistischen Konjunkturastrologen uns kein Datum nennen. Sie vertrösten uns, sie wissen nur, der finale Zusammenbruch der Weltwirtschaft kommt ganz bestimmt, irgendwann – wie der jüngste Tag.
Also wenn es so lange dauert, dann kann ich auch gleich auf den Messias warten. Warum ausgerechnet auf die Katastrophe? Wenn schon Hokuspokus, dann wenigstens einer, der Freude macht.
Nicht, dass ich kein menschliches Verständnis für die Ideologie der Untergangsprognostiker aufbringen könnte. Sie erinnern an den Widerstand gegen Franco im Nachkriegsspanien. Es gab Untergrundorganisationen, es gab Attentatsversuche, keiner hat geklappt. Und irgendwann kam man als Beobachter zu dem Schluss, dass es die Spanier aus eigener Kraft einfach nicht schaffen, ihren greisen Diktator abzuhalftern. Es blieb nur der Trost, dass Franco aus Altersgründen ohnehin bald sterben würde, und das hat er 1975 getan, mit 83 Jahren. Schade. Ich hätte ihm gerne weitere zwanzig Jahre gegönnt. Eine Bevölkerung, die es nicht schafft, ihren
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