Kapitalismus Forever
gibt. Alles ist Glaube, Liebe, Hoffnung. Eines Jeden Schicksal hängt davon ab, den Willen der schweigenden Götter zu erahnen. So ein Herrschaftssystem funktioniert viel besser als Befehl & Gehorsam.
Hitler und Stalin haben es auch gewusst: Nicht das Wort des Führers war Befehl, sondern sein Wille. Und den kannte man halt nicht. Den lernte man erst kennen, wenn es zu spät war. Also kann man sich nie bequem im Sessel zurücklehnen und darauf vertrauen, man habe doch alle Anweisungen befolgt und alles richtig gemacht. Man muss vielmehr permanent versuchen, sich hineinzudenken und hineinzufühlen in den Führer oder in den Markt, man muss versuchen, die Trends zu erschnuppern, und man weiß nie, ob es geklappt hat. Dieses Risiko schärft alle Sinne, es hält einen hellwach.
Schon Marx hatte sich am Kapitalismus die Zähne ausgebissen
Überhaupt kann man den Kapitalismus nur bewundern, je länger man sich mit ihm befasst. Marx ging es wohl ganz ähnlich, er hat am Ende auch nicht mehr gewusst, durch was man ihn ersetzen könne. Das Kapitel über den Kommunismus am Ende vom dritten Band des Kapitals ist ganz kurz. Und bestimmt nicht deshalb, weil Marx zu früh gestorben ist, um das Werk zu vollenden. Auch wenn er noch weitere 100 Jahre gelebt hätte, wäre ihm das nicht gelungen.
Ich habe drei Erklärungen.
Die erste: Bekanntlich reicht es nicht, das »Kapital« zu lesen. Viel interessantere Gedanken findet man oft verstreut im Rohentwurf. Wie jeder Autor stand Marx irgendwann vor dem Problem, die Gedankenfülle der Vorstudien in eine publizierbare Form zu packen. Dabei gehen immer eine Menge Gedanken über Bord, jeder, der schreibt, kennt das: Verzichte ich zugunsten der Übersichtlichkeit und der Systematik auf eigentlich wichtige Gedanken, oder verzichte ich auf Systematik zugunsten wichtiger Gedanken?
Um diesen Verlust zu vermeiden, um diesem Dilemma zu entkommen, schrieb schon Nietzsche Aphorismen, oder später Adorno die »Minima Moralia«. Adornos Hauptwerk ist die »Minima Moralia«, nicht die »Negative Dialektik«. Marx steht am Übergang von einer Welt der großen philosophischen Systeme zu einer Welt, die sich systematisch nicht mehr erfassen und darstellen lässt. Marx ist der letzte große Systematiker und zugleich der Erste, bei dem die Bruchstücke so wichtig sind wie das ausgearbeitete System. Das »Kapital« ist das bewundernswerte Dokument eines großartigen Scheiterns. Die Zeit für solche Werke war vorbei, nach Marx hat keiner mehr welche zustande gebracht.
Die zweite: Als Marx mit der Arbeit begann, da glaubte er, befeuert vom revolutionären Elan dieser Zeit, zu wissen, was der Kommunismus wäre. In den folgenden Jahren der Stagnation war dieser Glaube verblasst und am Ende ganz verschwunden. Das Zeitfenster für die proletarische Weltrevolution hatte sich wieder geschlossen. Und Marx war zu unerbittlich gegen sich selbst, zu wahrheitsliebend und zu ehrlich, um gegen seine Überzeugung seichte Banalitäten über den Kommunismus an danach hungernde Jünger gewinnbringend zu verteilen, wie es die heutigen Erbauungsbücher über »Alternativen zum Kapitalismus« tun.
Die dritte: Marx hat zu lange und zu tief gegraben. Er hat wirklich alles über das Kapital herausgekriegt. Und deshalb wusste er, dass es unbezwingbar sein würde. Wer in das Labyrinth eintaucht, um es zu ergründen, findet den Ausgang nicht mehr. Wie schon gesagt: Es gibt Dinge, die man besser nicht wissen sollte. Marx wusste zu viel, denn Wissen kann auch lähmen. So gesehen, sollten Revolutionäre »Kapital«-Schulungskurse meiden. Manchmal kann das Unmögliche ja doch gelingen, aber nur, wenn man von seiner Unmöglichkeit keine Ahnung hatte. Das Kapital ist mehr als nur Vermögen, es ist ein Mysterium, eine Religion. »Macht euch die Erde untertan« – war das nicht Gottes Wort, das Wort unseres Christengottes? Das Kapital ist sein Vollstrecker, nicht der Vatikan.
Es gibt den Spruch, der Glaube könne Berge versetzen. Das kann er natürlich nicht, mit einer Ausnahme: Der Glaube an eine gute Rendite schafft es wirklich. Kraft dieses Glaubens wurden der Suezkanal und der Panamakanal ausgehoben, kraft dieses Glaubens wurde der Ärmelkanal untertunnelt. Bei jedem dieser Projekte haben die Anleger ihr Geld verloren. Aber die Kraft ihres Glaubens hatte die Kanäle und den Tunnel wahr werden lassen. Und nun schwimmen die Schiffe drin oder es fahren Züge durch. Ist das nicht wunderbar?
Oder nehmen wir die Immobilienblasen,
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