Kaputt in El Paso
Augen blutunterlaufen. Meine Augenlider waren geschwollen genau wie meine Lippen, die sofort anfingen zu bluten, wollte ich auch nur lächeln oder grinsen. Nicht dass ich einen Grund zum Grinsen gehabt hätte, schließlich sah ich aus wie eine sechzig Jahre alte Wüstenratte. Kein Wunder, dass Mando mich nicht erkannt hatte.
Cielos, ich erkannte mich nicht mal selbst.
Meine Klamotten hatte ich den von Fliegen umschwärmten Leichen abgenommen. Ein paarmal hatte ich in meinem Vorhaben innehalten müssen, um den Brechreiz zu unterdrücken. Der penetrante Geruch des Todes hatte sich in meiner Kehle festgesetzt und dafür gesorgt, dass sich mir der Magen umdrehte. So hatte ich mich einige Male von dem Ort des Geschehens entfernt, um frische Luft zu tanken. Die Toten hatten sich noch nicht im Stadium der Leichenstarre befunden und so war es relativ einfach gewesen, ihnen die Klamotten auszuziehen. Die Hosen stammten von dem schweigsamen Hünen, der mir das Essen gebracht hatte. Man hatte ihm in Kopf und Hals geschossen – seine Hosen waren feucht gewesen vom Urin. Er hatte sich im Sterben erleichtert und natürlich auch noch eingeschissen. Nachdem ich die Hosen ausgeschüttelt und die Innenseite nach außen gekehrt hatte, hatte ich versucht, das Ganze so gut wie möglich mit Sand zu reinigen. Im Bund waren mir die Hosen zu weit, aber die Länge stimmte. Das Hemd hatte jemandem gehört, der mit einem einzigen Schuss ins linke Auge getötet worden war. Am Kragen befanden sich einige Blutspritzer. Auf der linken Brusttasche war ein weiterer Fleck, der, in Form eines schiefen Sterns, an ein Ehrenabzeichen erinnerte. Man hatte dem Typ den Hinterkopf weggeschossen, doch auf wundersame Weise hatten Blut und Gehirnmasse die Rückseite seines Hemdes verschont. Die Stiefel waren so gut wie neu, aber eine Nummer zu klein. Ich hatte einem anderen Toten das Messer abgenommen und damit die Spitzen der Stiefel abgesäbelt, um Bewegungsfreiheit für die Zehen zu bekommen. Am Ende hatte ich die Taschen der Toten nach Geld durchwühlt und insgesamt fünfzig Pesos gefunden. Erneut hatte ich gegen den Brechreiz ankämpfen müssen, diesmal vergeblich.
Ich hatte meinen Marsch Richtung Norden auf einer Straße gestartet, die ich als Highway 45 identifiziert hatte, eine Maut-Straße. Mein Weg hatte mich durch das Städtchen Samalayuca geführt, vorbei an Männern, die auf der Schatten spendenden Veranda einer tienda gesessen, mich angestarrt und geschwiegen hatten. Zweifellos hatten sie die Schießerei gehört und wollten nichts damit zu tun haben, auch nicht mit Überlebenden. Ein Hund hatte gebellt, war aber auf Distanz geblieben, eingeschüchtert durch den beunruhigenden Geruch des Todes.
Nach ein paar Stunden hatte ich eine der neuen colonias am südlichen Stadtrand von Juárez erreicht. Ich war in einen rutera gestiegen, einen Bus, der die maquila-Arbeiter zur Arbeit befördert und wieder nach Hause bringt. Die maquilas – amerikanische High-Tech-Fabriken, die früher Teil der amerikanischen Industrielandschaft waren – geben Nordmexiko den Anstrich einer blühenden Landschaft, doch die Arbeiter in diesem rutera verdienen fünf Dollar am Tag und sind nicht sozialversichert. Die maquilas sorgen für ein gleichbleibend hohes Armutsniveau in Mexiko. Sie sind dafür verantwortlich, dass die Anzahl der Armen sogar wächst, weil Arbeitsuchende aus dem Landesinnern und aus Mittelamerika angelockt werden, die – zumeist vergeblich – hoffen, in den namhaften Fabriken im Norden Beschäftigung zu finden. An den Randlagen der Stadt schießen colonias aus dem Boden – colonias aus Spanplatten-Behausungen, ohne Strom, Wasser, Kanalisation, ohne medizinische Versorgung, Schulen und Geld. Jeden Winter sterben viele Bewohner an ihren Kohlendioxid spuckenden Kerosinöfen. Polio und Tuberkulose sind in diesen Gegenden auf dem Vormarsch.
Mit dem rutera war ich bis auf eine Meile an eine Brücke herangefahren, die den Rio überquert. Die Kontrolleure an der Grenze hatten mich mit intensiven, neugierigen Blicken bedacht, die üblichen Fragen gestellt und mich dann widerwillig das reichste Land der Erde betreten lassen. Dann hatte ich nur noch die Mesa vor mir und konnte nach zwei Meilen das DMZ betreten.
Ich hatte gerade meinen Drink geleert und war im Begriff, bei Mando einen weiteren zu ordern, als der Knabe, der bei den Transvestiten saß, losbrüllte, als hätte man ihm einen Eispickel ins Auge getrieben. Zuvor hatte er der Zitronenblonden die
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