Kaputt in El Paso
gesamten Beziehung hatte sie die Pille genommen. Sie hatte keine Kinder haben wollen. Kinder bedeuteten Verantwortung, Einschränkungen, dazu hatte sie sich noch nicht bereit gefühlt. Ich wollte auch keine Kinder. Was das betraf, waren wir einer Meinung gewesen: Die Zeit für Kinder war noch nicht gekommen, vielleicht später, wenn unser Leben in geregelten Bahnen verliefe, wir ein eigenes Haus hätten und ein vernünftiges Einkommen. Sie war fast zehn Jahre jünger als ich und wir waren uns einig gewesen, dass es auf ihrer biologischen Uhr noch sehr früh sei. Und jetzt hatten sie und dieser Rennfahrer beschlossen, ein Baby zu bekommen, obwohl sie quasi auf der Straße lebten und abhängig waren von Preisgeldern und der Großzügigkeit von Sponsoren.
Vielleicht brauchte sie das Geld auch für eine Abtreibung. Aber dann hätte sie ›ich bin schwanger‹ gesagt und nicht die drollige Formulierung ›wir sind schwanger‹ gewählt, das leuchtete doch ein, oder? ›Wir sind schwanger‹ bedeutete, dass die Schwangerschaft gewollt war, und zwar von beiden. Meinem ohnehin angeschlagenen Gemütszustand gab das den Rest. Demnach war ich also kein geeigneter Babymacher; Trey ›Platz da oder es kracht!‹ Stovekiss war einer. Ich lachte; es klang wie ein Bellen.
Ich dachte an den Mann und die Frau, die mich gezeugt und das Licht der Welt hatten erblicken lassen, um mich anschließend auf den Treppenstufen eines Fremden auszusetzen. Gern hätte ich sie gefragt, weshalb. Weshalb hatten sie ihr Baby nicht gewollt? Mal unabhängig von ihren Lebensumständen – was an mir hatte sie bewogen zu glauben, sie könnten mich nicht lieben, könnten nicht für mich sorgen? Und dann die nächste Frage, die sich aufdrängte: Wenn sie mich nicht aufziehen wollten, warum haben sie mich nicht abgetrieben? Warum hatten sie es zugelassen, dass ich zu einem menschlichen Nullfaktor mittleren Alters herangewachsen war, der den Abbruch seines so genannten Daseins auf seine ganz eigene dumme Art und Weise vorantrieb?
In meiner Niedergeschlagenheit nahm dieses anonyme Paar die Züge von Gert und Trey Stovekiss an. Sie standen am Rande einer von röhrendem Motorenlärm erfüllten Rennbahn, mit dem Lächeln der Beschränkten auf dem Gesicht, ein Lächeln ohne eine Spur von Ironie oder Angabe oder Gemeinheit. Gedankenlose Erzeuger, die die Welt mit Unerwünschtem bevölkerten. Sein Arm um ihre Schulter gelegt, seine Hand sorglos auf dem prallen Busen. Schwanger, um Gottes willen.
An diesem Punkt wurde mir klar, dass ich mich gedanklich völlig verzettelte.
Alles Wahnsinn, würde Jerry Farnsworth sagen.
Die B-Seite von Selbstmitleid heißt Zerstörungswut.
Die Nachricht von Mona Farnsworth war kurz und bündig: »Uri – oder wollen wir bei Strobe bleiben? –, ich glaube, wir können dich regelmäßig einsetzen. Die Bezahlung ist gut. Jerry und ich haben ein paar sensationelle Szenarios ausgebrütet. Würde es dir was ausmachen, Körperflüssigkeiten über die Kunden zu verteilen? Ruf mich an.«
Als Nächstes sechs wütende Anrufe von Rosie Hildebrand. Ihre Terrine war übergelaufen. Bill und sie mussten jetzt hinunter auf die Straße, hinüber zum Klo der Shell-Tankstelle gehen. Sie drohte mit einer Klage. Sie drohte mit einem Anruf beim Gesundheitsamt. Sie drohte, ihre Miete einzubehalten. Sie drohte damit, einen toten Fisch an meine Tür zu nageln. Damit kam ich jetzt nicht klar. Ich beauftragte einen Installateur und sagte ihm, er möge die Rechnung direkt an den Besitzer des Baron Arms schicken. Damit setzte ich womöglich meinen Job aufs Spiel, doch das scherte mich momentan herzlich wenig.
Ich betrachtete mich im Badezimmerspiegel. Den Bart hatte ich stehen lassen – inzwischen war er lang genug, um ihn mit einem Kamm bearbeiten zu können – und die Haare hingen über meinen Kragen. Gepaart mit meiner momentanen inneren Verfassung, verlieh mir die Bankerkluft das Aussehen eines kaltblütigen Schuldeneintreibers, der im Begriff war, eine Familie aus ihrem Haus zu werfen, weil sie ihre Zahlungen nicht mehr leisten konnte. Als Krönung des Ganzen setzte ich eine Sonnenbrille auf. Ein Kredithai sah mich an, bereit, jemandem die Beine zu brechen, weil er den Forderungen nach Wucherzinsen nicht nachkam.
Unten, auf dem Parkplatz, hockte ein junger Schnüffler neben meinem Ford. Er hatte den Tankverschluss abgeschraubt und atmete die benzolhaltigen Dämpfe ein. Ich beugte mich hinunter zu ihm und schrie ihm ins Ohr, doch er reagierte
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