Kaputt in El Paso
Gruften erinnernde Nischen, in denen Kreditsachbearbeiter hinter pompösen Schreitischen aus Ebenholz saßen. Die Wände dieser Nischen waren mit goldenem Damast drapiert und mit Bildern geschmückt, die der religiösen Kunst der frühen italienischen Renaissance nachempfunden waren. Selbst Kunden von beachtlicher Statur wirkten vor diesen massiven schwarzen Schreibtischen wie Winzlinge. Die für die Kunden vorgesehenen Stühle waren niedriger als die der Sachbearbeiter, die so nicht nur physisch, sondern auch psychologisch dem Bittsteller gegenüber im Vorteil waren. Die Symbolik war klar und vermutlich auch beabsichtigt: Die Geldverleiher hatten den Tempel übernommen.
Ich sah mich nach den Aufzügen um, entdeckte sie und bestieg einen, zusammen mit einem Typ in feinem Zwirn. Er trug eine Aktentasche, die seine Körperhaltung leicht in Schräglage brachte, als befänden sich Goldbarren darin. Allein sein Fünfzigdollarhaarschnitt war ein Kunstwerk. Er hatte die Augen eines Raubtiers, blassgrau und wachsam, das Grau seines Anzugs war nur eine Nuance dunkler. Würde ein Fuchs in die Gestalt eines Menschen schlüpfen, dann in diese.
»Helmstrom Group?«, fragte ich. Der Fuchs in Menschengestalt nickte, zu sehr mit der Gewichtigkeit seiner Aufgabe beschäftigt, um antworten zu können. Er drückte P für Penthouse. Der Fahrstuhl hielt im siebenundzwanzigsten Stock, ein Etage unterhalb des Ziels. Während wir warteten, musterte mich der Fuchs.
Jetzt drückte ich P. Die Türen zum siebenundzwanzigsten Stockwerk blieben geöffnet.
»Sie müssen Ihre PIN eingeben«, erklärte mein Begleiter und zeigte auf eine Tastatur oberhalb der Fahrstuhlknöpfe. »Keine PIN, keine Weiterfahrt.«
»Pin?«, fragte ich.
»Wenn Sie keine persönliche Identifizierungsnummer haben, müssen Sie hier aussteigen, im siebenundzwanzigsten Stock ist Endstation. Das Penthouse ist für die Allgemeinheit nicht zugänglich.«
Er tippte seine PIN ein und hielt die Türen für mich offen.
»Die Tollwut soll euch holen«, sagte ich und winkte, als die Türen sich schlossen und sein ungerührtes Fuchs-Starren ausblendeten.
Ich ging einen mit Teppichboden ausgelegten Flur entlang, vorbei an Bürotüren, sowohl zur Rechten als auch zur Linken. Mehrere Türen führten in Konferenzzimmer. Ovale Tische mit Stühlen. Podeste. Leinwände. Ein Konferenzzimmer war belegt. Ich öffnete die Tür einen Spalt und linste hinein. Anzüge unterhielten sich mit Anzügen. Anzüge machten sich Notizen, Anzüge öffneten Aktenkoffer. Anzüge stocherten in ihren Nasen. Anzüge veränderten ihre Sitzposition und ihre Mimik, um Überdruss und Überlegenheit anderen Anzügen gegenüber zum Ausdruck zu bringen.
Am Ende des Ganges, hinter den Konferenzräumen, befand sich eine Tür mit dem Schild ›Notausgang‹, dahinter eine schmale Treppe. Ich stieg die schmale Stahltreppe zum Penthouse hoch. Ein ›Zutritt verboten‹-Schild markierte die Feuerschutztür. Natürlich ignorierte ich dieses Schild und drückte die Klinke. Die Tür war nicht verschlossen.
Ich fand mich in einer Oase wieder, in einem grünen Paradies. Ein echter Papagei in einem echten Bananenbaum sah mich an und sagte: »¿Que pasa, compa?«, während er kleine, weiße Scheißhaufen fallen ließ.
Einundzwanzig
Das Penthouse hatte nichts von der sakralen Atmosphäre des Erdgeschosses. Es war ein tropischer Garten Eden, ein Dschungel aus gefliesten Fluren, gesäumt mit Bananenpalmen, die schimmerten wie dunkles Wachs. Unter die Palmen hatten sich Strelizien gemischt und die breiten Fächer von Baumfarnen, die sich träge aus Beeten dickblättriger Sukkulenten erhoben. Zwischen all dem äquatorialen Grün gab es Reihen grellroter und gelber Blumen, deren unzählige geöffnete Blüten, unzüchtigen Mündern gleich, bereit schienen, jedermanns Vorstellung von Unschuld zu verschlucken. Das schräge Glasdach gestattete einen Blick auf gut einen halben Hektar milchigen Himmels. Unter diesen Bedingungen hätte es hier heiß und feucht sein müssen, doch eine Klimaanlage sorgte für ein angenehmes Raumklima.
Vom zentralen Flur gingen diverse Flure ab, die zu Konferenzräumen führten, die wesentlich luxuriöser ausgestattet waren als die ein Stockwerk darunter. Alle waren unbenutzt, bis auf einen. Mitarbeiter der Helmstrom Group saßen in Eames-Sesseln vor Tischen aus bearbeitetem Eukalyptusholz in Rot und Gelb. Der Fuchsgesichtige aus dem Aufzug war mitten in einer Präsentation. Er wirkte aufgedreht,
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