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Kaputt in El Paso

Kaputt in El Paso

Titel: Kaputt in El Paso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick DeMarinis , Frank Nowatzki , Angelika Müller
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la Mexiko.
    Drei Blocks entfernt von der Stadtverwaltung sah ich das Gebäude der Cibola Savings and Loan in den Himmel ragen, ein Monolith aus grünem Glas und schwarzem Stahl, achtundzwanzig Stockwerke hoch und alles andere als ein Hingucker für Touristen. Das Schrägdach neigt sich gen Süden und suggeriert Luxussuiten im Dachgeschoss, ausgestattet mit Wintergärten, die in der kühlen Jahreszeit angefüllt sind mit Licht, Wärme und Optimismus.
    Über diese Immobilie, ein Spekulationsobjekt aus den frühen Achtzigerjahren, hatte ich schon einiges gelesen. Im Zuge der Liberalisierung des Bankensektors durch die Reagan-Administration wurden hohe Kredite angeboten wie Pfefferminzbonbons, und zwar jedem, der ein Investmentkonzept vorweisen konnte, das nicht völlig gaga war. Bürogebäude, Eigentumswohnungen, Themenparks und Wohnsiedlungen schossen überall aus dem Boden. Dann brach die Wirtschaft ein. Kredite wurden nicht getilgt, Banken standen vor dem Aus. Gebäude wie das der Cibola wurden von einer eigenen Abteilung der Zentralbank zum Verkauf angeboten und für einen Bruchteil der ausstehenden Forderungen verscherbelt. Als das Cibola für weniger als eine Million an ein Konsortium ging, das eine mexikanische Holding repräsentierte, schlugen die Wellen der Empörung in den Leserbriefspalten der Zeitungen hoch. Ein Gebäude, das neunzig Millionen Dollar gekostet hatte, wurde von der Regierung praktisch verschenkt und der sowieso schon auf alle Ewigkeit geschröpfte Steuerzahler sollte für die Verluste geradestehen. Landesweit kostete das Bankenfiasko den Steuerzahler fast eine Billion Dollar. Ausgemachte Aasgeier, die von den mit den Notverkäufen betrauten Verantwortlichen bevorzugt wurden, bekamen die attraktivsten Immobilien für ein Butterbrot und Gerüchte über Korruption und Schmiergeldzahlungen hielten sich über die Jahre hartnäckig. Dann kam der wirtschaftliche Aufschwung und die kollektive Amnesie brachte das Ende der öffentlichen Diskussion.
    Streifen hoher, dünner Wolken dämpften das Sonnenlicht und in diesem Licht nahm die Glasfassade des Cibola-Gebäudes den grünen Farbton von Dollarnoten an. Diese dem Betonsombrero der Stadtverwaltung an Raffinesse weit überlegene architektonische Besonderheit wollte keine Touristen anziehen, sondern große Bargeldeinlagen.
    Ich betrat das Gebäude durch die mit Gold gesprenkelten Glastüren und wurde von einem älteren Mann begrüßt, an dessen kastanienbraunem Jackett messingfarbene Knöpfe und goldene Schulterstücke blitzten. »Guten Tag, Sir«, sagte er. »Kann ich Ihnen helfen?« Er sprach mit gedämpfter Stimme und legte ein dezent-persönliches Gebaren an den Tag. Die Form seiner Begrüßung beinhaltete folgende Botschaft: Ihre Privatsphäre wird respektiert, die Bedeutung Ihrer Person unsererseits geachtet, dem Gewicht Ihrer Unternehmung mit äußerster Ernsthaftigkeit begegnet.
    »Wo ist das Büro vom jefe?«, fragte ich.
    »Sir?«
    »Der Boss. El presidente. Der Chef.«
    »Im Penthouse, Sir. Im obersten Stock. Ich nehme an, Sie gehören zur Helmstrom Group?«
    Ich nickte. »Stellvertretender Abteilungsleiter Finanzen«, sagte ich. »Zuständig für feindliche Übernahmen, imaginäre Tochtergesellschaften, kreatives Jonglieren mit Zahlen und sonstige lukrative Phantasiegebilde.« Ein zögerliches Lächeln umspielte seinen schmallippigen Mund, als er für sich entschied, dass ich für einen stellvertretenden Abteilungsleiter Finanzen richtig witzig sei. In Anerkennung seiner kastanienbraunen, militärisch anmutenden Kluft salutierte ich mit zwei Fingern. Dann packte ich ihn bei seinem unterentwickelten Trapezmuskel und schüttelte ihn fröhlich. Die Schulterstücke bebten. Die gönnerhafte Geste eines Mannes meiner Statur ging ihm zu Herzen. Seine Augen röteten sich und er machte eine Verbeugung.
    Es kam mir vor, als sei ich in eine Kathedrale der Alten Welt hineinspaziert. Man konnte den Weihrauch förmlich riechen. Die Kassierer saßen hinter altmodischen Schaltern aus geschnitztem Eichenholz und Milchglas. Sie lauschten den leise vorgetragenen Wünschen ihrer Kunden wie Priester im Beichtstuhl. Es fehlte nur noch die gepolsterte Stütze um niederzuknien und das Gemurmel bußfertiger Gläubiger.
    Der Boden aus schwarzem Marmor war mit Gold verziert und ihm entwuchs eine stattliche Anzahl Marmorsäulen, hoch zu einer gewölbten, mit Fresken im italienischen Stil bemalten Decke. Gegenüber dem Kassenbereich befanden sich einige großzügige, an

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