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Kaputt in El Paso

Kaputt in El Paso

Titel: Kaputt in El Paso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick DeMarinis , Frank Nowatzki , Angelika Müller
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nicht. Er klebte förmlich an der Tanköffnung, also packte ich ihn am Gürtel und verfrachtete ihn neben ein anderes Auto. Er sah mich an. Sein Blick war stumpf, nicht mal im Ansatz verärgert. Ein Fünfzehnjähriger, der stramm auf die achtzig zuging und sich jetzt zum Müllcontainer aufmachte, um nach ausrangierten Spraydosen zu suchen. Ein im Werden begriffenes Gespenst. Ich schraubte meinen Tankverschluss zu und fuhr über die Straße zum DMZ.
    Güero war da. »Schicke Montur, Mann«, sagte er. »Hast du endlich einen richtigen Job?«
    »Nein, in diesem Outfit hab ich geheiratet.«
    Er sah mich lange an, ersparte sich aber einen Kommentar.
    »Wo hast du gesteckt, Uri?«, fragte er, während er den Tresen abwischte. »Du hast dir deine nachmittäglichen Margaritas entgehen lassen.«
    »Ich habe Urlaub in Mexiko gemacht.«
    »Urlaub wovon? Dein gesamtes Leben ist ein einziger Urlaub.«
    »Fang du nicht auch noch an.«
    Ich erzählte ihm von meinem Abenteuer in Samalayuca. »Du hast einen Schutzengel, ése, jemand da oben hält die Hand über dich. Du solltest dich nicht länger mit diesen Leuten abgeben.«
    »Nichts lieber als das.«
    Er machte mir eine Margarita. »Ich werde dich nicht fragen, wie du an traficantes geraten bist«, sagte er. »Ich will’s gar nicht wissen. Am besten verdrückst du dich für ’ne Weile. An deiner Stelle würde ich nach Norden gehen, ziemlich weit nördlich, vielleicht nach Saskatoon. Oder mach Nägel mit Köpfen, geh nach Australien.«
    »Ich habe mich mein ganzes Leben lang verdrückt«, sagte ich. »Als hätte sich am Tag meiner Geburt etwas an meine Fersen geheftet, was da schon wusste, dass ich besser in einer Mülltonne krepiert wäre.« Mir wurde bewusst, dass ich die Wahrheit aussprach. Es auszusprechen machte es deutlich, als wäre der Gedanke bisher nur eine verschwommene Theorie gewesen.
    »Alles klar mit dir, Mann?«, fragte Güero. »Du siehst ’n bisschen abgedreht aus. Nicht dass du mir zum loco mutierst, okay?«
    »Ich hab mich immer nur versteckt, Güero. Das kotzt mich so an. Genauso gut könnte ich tot sein, findest du nicht? Was macht das für einen Unterschied – tot sein oder sich verstecken? Ich habe immer geglaubt, ein Körper wie meiner bietet ’ne Art Schutz.«
    Er musterte mich. Sein analytischer Blick versuchte meine körperliche und seelische Verfassung einzuschätzen. »Schutz? Wovor? Muskeln können keine Kugeln abwehren.«
    »Dämonen, vermutlich.« Über dieses Eingeständnis musste ich selber lachen.
    »Dämonen stecken im Innern, ése«, sagte Güero. »Vielleicht halten deine Muskeln sie gefangen. Willst du den Namen eines guten curandera? Oder lieber einen Gringo-Seelenklempner? Ich hab gehört, die Freudianer feiern fröhliche Urständ.«
    »Eins nach dem anderen.«
    »Wie du meinst«, sagte er. »Ich habe genug eigene Probleme.« Mit einem Mal sah er bedrückt aus, sein Blick wirkte abwesend.
    Ich hakte nicht nach, was seine Probleme betraf, ich hatte nur Sinn für meine.
    Ich fuhr auf der Mesa Richtung Süden, Richtung downtown, ohne Plan, ich war richtiggehend angepisst und ein wenig in Kamikazestimmung – ein Zustand, der Strategie zur Nebensache verkommen lässt.
    Unwirsch betätigte ich meine Hupe, weil der Fahrer eines silbernen Cadillacs vor mir ständig auf dem Bremsklotz stand, ein Fuß auf dem Gas, den anderen auf der Bremse. Er hielt alles auf, machte aber keine Anstalten, schneller zu fahren. Mit neunzehn Meilen durch eine Zone, in der vierzig erlaubt waren. Mein Hupen wurde schlicht ignoriert. Ich konnte ihn nicht mal sehen – wahrscheinlich ein winziger, alter Mann, der kaum an die Kopfstütze des Fahrersitzes reichte. Diese Sorte kannte ich: Welk, reich, vorsichtig, ließen sie die Bremse schleifen und saßen immer hinter dem Steuer eines Cadillacs. Ich malträtierte meine Hupe, doch in der vornehmen Isolation seines Caddys war der Fahrer unerreichbar.
    Direkt neben dem Gebäude der Stadtverwaltung fand ich einen Parkplatz. Das Dach der Stadtverwaltung hat die Form eines Sombreros von der Größe eines halben Footballfeldes – die Stein gewordene Vorstellung unserer Stadtväter von einer Touristenattraktion. Der Sombrero dient als Sinnbild für den geselligen Charakter El Pasos und unserer Schwesterstadt auf der anderen Seite des Flusses. Ein Denkmal sorgloserer Tage. Inzwischen reduziert sich der gesellige Charakter beider Städte nämlich auf den kleinen Grenzverkehr in Sachen Prostitution und auf Turbo-Scheidungen à

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