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Kaputt in El Paso

Kaputt in El Paso

Titel: Kaputt in El Paso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick DeMarinis , Frank Nowatzki , Angelika Müller
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abwärts Bewegung in ihren Beinen, oberhalb der Knie war sie steif wie ein Stock. Sie hielt ihre dürren Arme verschränkt, presste sie gegen ihre nicht mal im Ansatz vorhandenen Brüste. Ein gespenstischer Anblick. Als beobachte man eine klapprige Leiche, die auf wundersame Weise zum Leben erweckt worden war und jetzt das Laufen wiedererlernte.
    »Komm schon«, sagte Jesaja und klopfte mir auf die Schulter. »Vergiss das Geschwätz. Wollen wir es nun machen oder nicht?«
    »Für zehn Mäuse kann ich euch beiden einen blasen«, sagte sie. »Vielleicht steht einer von euch auf Zusehen. Ich könnte dem großen Schwarzen einen blasen, während der große Weiße zuschaut, okay? Ich mach alles, was ihr wollt, aber zuerst will ich die zehn Mäuse sehen. Ich kann euch auch ficken – klassisch oder von hinten, für den Fall, dass einer von euch auf Nutella abfährt.«
    »Wo ist Moses?«, fragte Jesaja.
    »Mir doch egal, wo der steckt«, sagte sie. Sie ging zu Jesaja und verhakte ihre Finger hinter seinem Gürtel. Er packte ihren Arm und für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich, er wollte ihn ihr abreißen. Doch stattdessen schob er sie sanft zu einem Stuhl und setzte sie hin.
    »Mein Bruder gibt dir fünf Dollar, wenn du uns verrätst, wo wir ihn finden können«, sagte Jesaja.
    Ihr Blick wanderte von Jesaja zu mir, man sah förmlich, wie ihre Hirnzellen anfingen zu arbeiteten. »Aha«, sagte sie schließlich und der Ausdruck angestrengten Nachdenkens wich aus ihrem Gesicht. »Hey, hört mal. Das mit dem Umbringen war nur ein Scherz, ja? Sicher, er ist ’n Arsch, aber außer ihm habe ich niemanden. Versteht ihr?«
    »Wir werden ihn nicht umbringen«, sagte Jesaja. »Er ist unser Bruder.«
    Wieder schlich sich Irritation in ihren Gesichtsausdruck, um sogleich zu verschwinden. Irgendwo musste sie mal gelernt haben, dass Neugierde dich nicht weiterbringt, schlimmer noch, dass sie dich dorthin bringt, wohin du ganz und gar nicht willst. »Er ist auf der Brücke und macht vermutlich etwas China White klar, Fentanyl«, sagte sie. »Aber das seh ich noch nicht. Hier kriegt man ja nur das normale H. Mensch, ich wünschte, ich würde in einer klasse Gegend wie Los Angeles wohnen. Ich wette, da bekommt man alles, was man will.«
    »Welche Brücke?«, fragte ich.
    »Keine Ahnung, wie die heißt. Die in downtown.«
    »Die Santa Fe«, sagte Jesaja. »Komm, wir bringen es hinter uns.«
    Ich gab ihr den Fünfer und wir gingen zur Tür.
    »Ihr seid sicher, dass ich euch keinen blasen soll?«, fragte sie. »Für ’n weiteren Fünfer besorg ich’s euch beiden. Oder wollt ihr mir etwa auftischen, ihr kriegt’s woanders billiger? Dass ich nicht lache!« Sie grinste spöttisch und sah aus wie ein amüsierter Totenkopf.
    »Danke trotzdem«, sagte ich.
    »Hey«, sagte sie, unwirsch über die ihr erteilte Abfuhr, »nächstes Jahr geh ich aufs College und werde Schönheitsberaterin. Moses und ich werden uns ein Haus kaufen, jetzt sparen wir nämlich für ein Auto. Also verpisst euch. Okay? Verpisst euch einfach.«
    Unten, auf der Straße, sagte Jesaja: »Ich werde für dieses Mädchen beten, aber ich befürchte, es ist bereits zu spät.«
    Es war zum ersten Mal, dass ich ihn derart verzagt reden hörte. »Aber hallo, erkenne ich da so etwas wie Verständnis in deinen Worten, mein Großer?«
    Er bedachte mich mit einem Blick, dass ich mich am liebsten weggeduckt hätte.
    »Halt den Mund, Uriah«, sagte er. »Manche Dinge sind nicht komisch. Manche Dinge werden nie komisch sein.«

Vierunddreißig
    Eigentlich hatte ich meinen Wagen nehmen wollen, weil er mehr Platz bot als der Käfer, aber Jesaja lehnte es ab, ihn in Junktown stehen zu lassen. Die ganze Sache ging auf mein Konto, also wollte ich mich mit Jesaja nicht streiten. Dank unserer gemeinsamen Masse ließen sich die Türen des VWs kaum schließen und Jesaja hatte wenig Raum, zwischen unseren Knien zu schalten. Während der zwei, drei Meilen zur Brücke ging es überwiegend bergab und so fuhr er meistens im dritten Gang oder im Leerlauf. Wir parkten vor einer Parkuhr auf der amerikanischen Seite der Santa Fe. Ich warf zwei Dollar in den Geldschlitz und wir mischten uns unter die Massen von Touristen und mexikanischen Pendlern, die sich in einer langsamen Prozession auf die mexikanische Seite des Rio zubewegten. Die Mexikaner – Inhaber eines Reisepasses oder eines Arbeitsvisums – waren auf dem Nachhauseweg, nachdem sie in amerikanischen Haushalten gearbeitet hatten: Hausputz, Kochen,

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