Kaputt in El Paso
Rasenmähen, Heckenschneiden, Altenpflege oder Kinderbetreuung. In der Mehrzahl handelte es sich um eine für beide Seiten vorteilhafte Regelung.
»Auf der mexikanischen Seite der Brücke wird er kaum sein«, sagte ich. »Wenn die judiciales ihn beim Kauf von Heroin erwischen, treten sie ihm in den Arsch und lochen ihn zehn Jahre ein, was in seinem Fall lebenslänglich bedeutet.«
»Bekäme ihm besser als die Reha«, sagte Jesaja. »Wäre auch billiger. Dann könntest du Zacks Geld sinnvoller verwenden.«
Wir kämpften uns durch die Menge zum höchsten Punkt der Brücke vor, zu der unsichtbaren Grenzlinie zwischen beiden Ländern. Etwa dreißig Meter unter uns wälzte sich der braune Rio Grande zwischen schrägen Betonmauern hindurch. Auf mexikanischer Seite verkündeten drei Meter hohe, auf den Beton gepinselte Buchstaben anklagend: Todos somos ilegales – Wir sind alle illegal. Weiter unten, in kleineren Buchstaben und so weniger gut zu lesen, sah man eine ältere Klage: Pobre Mejico, tan lejos de dios, tan cerca de los estados unidos – Armes Mexiko, so weit entfernt von Gott, doch so nah an den Vereinigten Staaten.
»Hier ist er nicht«, stellte Jesaja fest.
Wir schoben uns durch den trägen Menschenstrom zurück auf die amerikanische Seite. Nirgendwo eine Spur von Moses.
»Vielleicht hat sie uns belogen«, sagte ich.
»Um ihn vor seinen Brüdern zu beschützen?«
»Ich glaube, sie hat uns die Brudergeschichte nicht abgekauft. Wahrscheinlich hat sie gedacht, er schuldet uns Geld und wir wollen ihn deshalb aufmischen.«
»So läuft das nicht, Uriah. Dealer räumen keinen Kredit ein. Stoff nur gegen Bares. Keiner von denen gewährt einer süchtigen Trantüte Zahlungsaufschub.«
Ich sah ihn an.
»Was versteht denn der Diakon davon?«
»Meine Kirche bietet Seelsorge an. Die eine oder andere abhängige Seele taucht schon mal auf, weil sie clean werden will. Sehr erfolgreich sind wir nicht. Die weiße Königin wacht eifersüchtig über ihre Untertanen.«
Einen Block von der Santa Fe entfernt, auf einem Platz zwischen zwei leer stehenden Gebäuden, hatte sich ein bunter Haufen zusammengefunden. Halbliterflaschen schimmerten rot und golden im Licht der frühen Abendsonne, als sie in einer Runde von Zechkumpanen herumgereicht wurden. Ein Typ löste sich von seiner braunen Papiertüte und schrie: »¡Que fucking loco man!«, anschließend reichte er die Tüte an den nächsten Schnüffler weiter. Der Gestank von Lösemitteln drang bis zu uns herüber.
Wir bahnten uns den Weg durch die Ansammlung menschlicher Wracks.
Jesaja, der etwas größer ist als ich, sah ihn zuerst. Moses stand inmitten einer Gruppe lebender Toter; Junkiekumpane, einige Säufer und eine Schnüfflerin – ein wenig repräsentativer Querschnitt des gesellschaftlichen Bodensatzes. Man konnte den Eindruck gewinnen, sie stünden kurz davor, einen gemeinnützigen Verein für unwiderruflich Gescheiterte zu gründen. Mose tanzte – einen Junkie-Jitterbug in Zeitlupe –, dazu nuschelte er die alte Nate-King-Cole-Nummer Straighten Up and Fly Right.
»Das meint er wohl ironisch«, sagte Jesaja.
»Bist du sicher?«, fragte ich.
Jesaja warf mir einen Blick zu, als wollte er sagen: Willst du nun, dass ich dir helfe, oder soll ich mich verpissen?
Als habe er eine Erleuchtung, brach Moses seine Variation über Nat King Coles Nummer urplötzlich ab, breitete die Arme aus wie Flügel, die das Sonnenlicht einfangen und speichern können. »China-White-Dienstag, meine Freunde!«, rief er. Es klang wie eine Prophezeiung, als hätte der Himmel ihm eine Weisung erteilt. »Hiermit erkläre ich den heutigen Tag zum China-White-Dienstag!«
»Yo vato, und was ist mit Mittwoch? Wie heißt der Scheißmiercoles bei euch chivaKöpfen?«
Moses kratzte sich am Hals und blickte Hilfe suchend gen Himmel. »Der Rest der Woche heißt braunes Gift«, erklärte er. »Doch heute ist der Tag von China White, der Tag der reinen, jungfräulichen Königin. Sie ist mir vor einer Minute im Traum erschienen, wie sie aus einem Block feinster Engelsscheiße herausgemeißelt wurde.«
»Das ist wohl eher ’ne Speedball-Erscheinung gewesen!«, krähte jemand aus der Gruppe.
»Hey, Dopey!«, schrie die Schnüfflerin. »Du bist voll mit alter Scheiße. Finde den Weg zu Jesus, bevor es zu spät ist und Satan dich bei den Eiern packt.«
»Hat dir bescheuerter Tütenbirne eigentlich noch keiner verklickert, dass man Jesus nicht in ’ner Tüte mit Modellflugzeug-Kleber
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