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Karambolage

Karambolage

Titel: Karambolage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Bauer
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alten Büchern. Hatte Fellner sich hier wohlgefühlt, oder war er nur Gast im eigenen Heim gewesen?
    »Haben Sie Kinder?«, fragte Juricek direkter, als er vorgehabt hatte.
    »Nein«, sagte Olga überrascht und entrüstet zugleich. »Was hat denn das alles mit dem Tod meines Mannes zu tun?«
    »Ich möchte mir ein Bild machen, Frau Fellner: von Ihrem Mann, Ihrer Beziehung zu ihm, von seinen Bekannten und Freunden. Er war öfters mit Ihrem Neffen, Oskar Fürst, zusammen, habe ich gehört. Mochte er den Jungen sehr?«
    »Das kann man wohl sagen. Für Oskar hätte er beinahe alles getan. Ich weiß freilich nicht, ob Georg immer der beste Umgang für ihn war. Mein Bruder behauptet das Gegenteil.«
    »Dass Ihr Mann Oskar zu allerlei Unfug verleitete, ihn nachts überallhin mitnahm? Dass er schuld daran war, wenn Oskars Leistungen in der Schule nachließen? Das machte ihn wohl wütend und führte zu Streitigkeiten?«
    »Ja, mein Gott! Max hat Georg nie besonders leiden können, und dass mein Mann dann auch noch ein so gutes Verhältnis zu seinem Sohn hatte, bereitete ihm ziemliche Probleme. Mein Bruder ist als Vater ein ziemlicher Versager, viel zu streng und konservativ, mit Georg hatte Oskar eben seinen Spaß. Die zwei sind schon ab und zu aneinandergeraten, von wegen Erziehung und so. Georg hat Max dabei immer ganz schön auf die Palme gebracht.«
    Das war offensichtlich Fellners Stärke gewesen: andere Leute auf die Palme bringen. Juricek sparte sich die Frage, ob Olga Max zu einem Gewaltverbrechen an ihrem Mann fähig hielt. Er würde wohl keine ehrliche Antwort erhalten. Stattdessen fragte er: »Wo waren Sie heute Abend zwischen 22 und 23 Uhr?«
    »Hier zu Hause. Ich habe ferngesehen und auf Georg gewartet. Als er nicht auftauchte, ging ich zu Bett.«
    »Gibt es dafür Zeugen? Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich muss Sie das fragen.«
    »Das sogenannte Alibi, nicht wahr? Nein, ich glaube nicht, dass es dafür Zeugen gibt«, sagte Olga matt, aber bestimmt. »Die Pension und unsere privaten Räumlichkeiten sind baulich voneinander abgetrennt, geläutet hat in dieser Zeit auch niemand. Aber Sie können sich ja erkundigen, vielleicht hat mich jemand wahrgenommen.«
    Juricek erhob sich und reichte Olga Fellner zum Abschied die Hand. »Das war’s dann, Frau Fellner. Sobald wir etwas in Erfahrung gebracht haben oder noch von Ihnen wissen wollen, werden wir uns wieder bei Ihnen melden. Jetzt lassen wir Sie aber in Ruhe. Kommen Sie zurecht?«
    Sie nickte stumm. »Noch einmal herzliches Beileid«, murmelte Juricek verlegen. Er war für solche Situationen nicht geschaffen.
    Draußen auf der Straße genoss er für einige Augenblicke die Frische der Nacht, ehe er den Mantelkragen hochstellte und kurz in Richtung seiner Kollegin brummte: »Und?«
    Vera Dichtl kannte ihren Vorgesetzten. Sollte heißen: ›Wie würden eigentlich Sie als Frau die Fellner einschätzen? Das war schließlich einer der Gründe, weshalb ich Sie mitgenommen habe.‹ »Diese Frau ist glatt wie ein Fisch«, sagte sie. »Ich glaube auch, dass sie bereits über den Tod ihres Mannes informiert war.«
    Juricek nickte zufrieden. »Sehen Sie, und genau dasselbe habe ich mir auch gedacht.«



6

    Als Leopold gegen Mittag die Kassenhalle des Kinocenters betrat, konstatierte er eine abstoßende Leere. Es war noch nicht viel los. Ein paar Halbwüchsige standen herum, in einer Ecke lehnte ein Pärchen. Was Leopold aber sofort auffiel und bis in sein Innerstes irritierte, war die Seelenlosigkeit, die dieser Ort ausstrahlte, die absolute Anonymität von allem und jedem, das sich hier herinnen befand, die Sterilität der nackten Wände. Das tat weh.

    Ein Kino – was war das früher im Bezirk für ein Ort gewesen. Ein Kulturzentrum mit Herz, ein Treffpunkt, der gleich nach dem Kaffeehaus kam, der Einlass in eine Traumwelt, den man jederzeit ansteuern konnte, wenn man ein Rezept gegen Trübsal brauchte. Leopold erinnerte sich an den Geruch von Popcorn, der den Saal von der ersten bis zur letzten Reihe durchströmte, und an eine seltsame Mischkulanz anderer Düfte, die heute wohl durch ein intaktes Belüftungssystem endgültig vertrieben worden waren. Damals genügte es, wenn zuweilen ein Angestellter mit Raumspray den Kampf gegen Gestank und stickige Luft aufnahm. Er erinnerte sich an die Klappsessel aus Holz, in denen man unbequem saß und die Füße nicht ausstrecken konnte, daran, dass man seinen Platz immer hinter jemandem hatte, der weit größer war als man

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