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Karambolage

Karambolage

Titel: Karambolage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Bauer
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aufgegeben, mit uns in Wettbewerb zu treten, sind lieber unter sich geblieben. Ich glaube im Gegensatz zu Leopold nicht, dass sie gerne jemand Neuen bei sich aufnehmen. Bei todes- oder altersbedingten Ausfällen vielleicht schon, aber sonst … Und wissen Sie, Herr Lehrer, was man sich noch über den Klub erzählt?«
    Korber schüttelte den Kopf. Er versuchte gerade herauszufinden, welche Klasse er in der ersten Stunde unterrichten musste.
    »Von regelrechten Orgien ist die Rede, überhaupt, seit Fellner dabei war. Eigener Eingang, mehr brauche ich nicht zu sagen. Da sind dann auf den Tischen ganz andere Stöße vollführt worden. Soll alles der Fellner arrangiert haben.«
    »Thomas, das wäre doch was, wenn du auch gleich bei so einer Orgie dabei sein würdest. Da hätten wir schnell eine Spur zu dem Mörder«, sagte Leopold zu seinem Freund.
    Korber war in seinen Gedanken woanders. Es war, soweit er sich erinnern konnte, die sechste Klasse in Deutsch. Die sechste Klasse in der ersten Stunde. Stoff: Vorbereitung der Präsentationen. ›Ratschläge für einen schlechten Redner‹ von Kurt Tucholsky. ›Fange nie mit dem Anfang an, sondern immer drei Meilen vor dem Anfang‹, und so weiter.
    »Aber das Beste kommt noch, meine Herren! Fellners Frau war auch einmal bei einer solchen Orgie zugegen, heißt es, mehr oder weniger unfreiwillig, und da soll er mit ihr auch seine bösen Scherze getrieben haben – schlimme Dinge, wenn man den Gerüchten Glauben schenken soll.«
    »Nein, was Sie alles wissen, Herr Chef, das weiß ja nicht einmal ich«, bemerkte Leopold staunend, ohne sich nach pikanten Details zu erkundigen. »Und trotzdem ist sie ihm bis zuletzt treu geblieben?«
    »Das würde ich nicht behaupten. Angeblich hat sie einen Freund, und die Ehe existiert nur mehr auf dem Papier, wegen der Pension. Eine traurige Geschichte«, sagte Heller. »Und so etwas nennt sich Billardklub. Zwei Tische! Ich beneide Sie jedenfalls nicht um Ihre Aufgabe, Herr Lehrer.«
    »Du gehst aber trotzdem morgen dorthin und nimmst ein paar Trainingseinheiten«, sagte Leopold streng.
    »Also gut, von mir aus«, gab Korber, noch immer in Trance, nach. Sechste Klasse, dachte er. Da darf ich mich nicht blamieren. Den Wortwitz von Tucholsky herausstreichen. ›Wenn du einen Witz machst, lach vorher, damit die Leute die Pointe verstehen‹, und so weiter.
    »Das ist schön von dir, dass du mich nicht im Stich lässt«, freute Leopold sich.
    »Sperrstunde«, sagte Heller und rasselte ein letztes Mal mit den Schlüsseln.
    Und so traten Leopold und Korber hinaus in die nun wieder trockene, aber kühle Frühlingsnacht. Automatisch steuerten beide auf Leopolds Wagen zu. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass er seinen Freund nach solchen langen Abenden nach Hause brachte. »Morgen hat der Waldi Frühdienst, da werde ich mich vor meinem Arbeitsbeginn noch nach der Kinokarte erkundigen«, murmelte Leopold mehr zu sich selbst, als sie bei seinem Auto ankamen.
    »Nach welcher Kinokarte?«, fragte Korber, den die frische Nachtluft wieder munter gemacht hatte.
    Leopold knallte die Wagentüre zu und fuhr los. »Welche Kinokarte, welche Kinokarte«, sagte er mürrisch. »Ach so, das habe ich dir ja noch gar nicht erzählt. Es handelt sich um ein Beweisstück, das ich neben Fellner gefunden habe, eine Karte aus dem Kinocenter Nord von gestern Abend. Etwas vom Regen verwaschen, aber noch eindeutig identifizierbar. Nur der Titel ist schon etwas unleserlich, irgendetwas mit ›Morgen …‹«
    »›Morgen ist Dienstag‹«, ergänzte Korber. »Ein Rührstück, eine Schnulze. Relativ aktuell.« Dabei wünschte er sich, dicht neben Maria Hinterleitner in einem abgedunkelten Kinosaal zu sitzen, ihren Körper zu ahnen, ihre Haut zu riechen und ihre Gegenwart zu fühlen.
    »Also gut, Herr Professor, ›Morgen ist Dienstag‹. Den Film muss sich der Fellner einen Tag vor seinem Tod noch angeschaut haben. Zeitlich geht sich das aus, weil er seine Billardpartien am Nachmittag gespielt hat. Interessanter Aspekt, oder?«
    »Sag mir lieber, warum du die Karte, wenn sie schon ein Beweisstück ist, nicht deinem Freund Juricek gezeigt hast. Da macht dir sicher wieder dieser Bollek Schwierigkeiten.«
    »Das lass nur einmal meine Sorge sein, Thomas«, entgegnete Leopold verärgert. »Gerade Bollek hat mich heute gründlich demotiviert. Soll er schauen, wie weit er ohne die Karte kommt. Aber keine Angst, wenn es wichtig ist, wird Richard schon noch davon erfahren. Mich

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