Karambolage
Proteste von vielen Frauen, die sich gern mögen«, korrigierte Leopold spitzbübisch.
»Genau das meine ich«, lächelte die Dame in der Kassa zurück. »Der Film sei stark tendenziös und diskriminierend. Er beweise die konservative Einstellung unserer Gesellschaft und ihre feindselige Haltung gleichgeschlechtlichen Paaren gegenüber. Auch einige Männer, die sich gern mögen, haben protestiert, aber mehr Frauen. Seither ist es Kult, dass sich Frauen den Film mit ihrer Freundin anschauen und Männer mit ihrem Freund, aus Solidarität sozusagen. Am Mittwoch konnte man schon einige Pärchen sehen, ich habe ein Auge dafür. Der Herr auf dem Foto ist mir dabei nicht aufgefallen.«
»Können Sie vielleicht Ihre Kollegen und Kolleginnen fragen und mich dann zurückrufen?«, bat Leopold und spielte dabei seinen ganzen Charme aus. »Das ist meine Nummer.«
»Gerne. Hoffentlich nützt’s was.« Sie steckte den Zettel ein. »Aber ob es die Gerüchte zum Verstummen bringen wird? Wie gesagt: Herr und Dame ist bei diesem Film eher selten, schon gar nicht, wenn es so ist, wie ich denke, dass Sie meinen.«
Leopold musste einmal kurz angestrengt nachdenken, um den Sinn des letzten Satzes vollständig zu erfassen. Dann bedankte er sich und ging. Eigentlich war er so klug wie zuvor. Er wusste nicht einmal, ob sich Fellner den Film angesehen hatte, geschweige denn mit wem. Warum hätte er sich ihn ansehen sollen? Ein allzu großer Cineast schien dieser Lebemann nicht zu sein. Und um sich mit einer Dame zu vergnügen, wie es wohl eher seine Art war, dazu bot ›Morgen ist Dienstag‹ offenbar keinen Anlass.
Da fiel Leopold wieder Oskar Fürst ein, der unauffällige Junge, der in der Schule Schwierigkeiten hatte, weil er sich so viel mit seinem Onkel herumtrieb und für sein Alter ganz schön verdorben war. Gab es da mehr als dieses rein vertrauliche Verhältnis? Bestand gar eine homoerotische Neigung zwischen den beiden, in etwa so eine wie zwischen dem Studenten und dem Universitätsprofessor im Film? Und war Georg Fellner deswegen mit Oskar Fürst an diesem Mittwoch ins Kino gegangen?
Leopold wollte diesen Gedanken gleich wieder verwerfen, aber je näher er seiner Arbeitsstätte kam, desto lieber gewann er ihn. Was sprach eigentlich dagegen? Auf jeden Fall erhielt der Mordfall dadurch einen neuen Aspekt, und Oskar Fürst und sein Vater waren tief darin verwickelt – wenn, ja wenn ihm die Kinotante den Besuch Fellners noch bestätigen konnte. Eines stand für Leopold aber jetzt schon fest: Nichts war mehr so wie früher im Kino.
*
»Leopold, Leopold! Wir haben Frau Jahn auf unserer Liste vergessen, die war doch bis neun Uhr da und hat sogar noch eine zweite Schale Kaffee getrunken.«
»Frau Chefin, die Jahn ist über 80, kann nicht einmal mehr gescheit stehen geschweige denn gehen, ist so schmächtig, dass sie vom ersten Regentropfen erschlagen worden wäre, und hat vom Fellner sicher noch nie etwas gehört. Was hat sie also auf unserer Liste zu suchen?«, protestierte Leopold gelangweilt.
»Lieber Leopold, darf ich Sie daran erinnern, dass dies quasi ein offizieller Auftrag der Polizei ist, den ich gewissenhaft zu erfüllen gedenke? Da ist äußerste Genauigkeit geboten. Das ist nicht so wie bei Ihren heimlichen Aktionen, mit denen Sie immer alles durcheinanderbringen. Das muss seine Ordnung haben. Jeder muss auf die Liste, hören Sie, jeder, der sich gestern im Kaffeehaus aufgehalten hat.«
»Sie haben hoffentlich berücksichtigt, dass diejenigen, die zur Tatzeit herinnen waren, das Verbrechen schwerlich begangen haben können.«
»Halten Sie mich nicht für blöd, Leopold, so viel Hausverstand sollten Sie Ihrer Chefin schon zutrauen. Aber sonst: Lückenlos muss es sein, hat der Herr Oberinspektor gesagt, das habe ich noch im Ohr. Ich habe ja sogar Herrn Sykora notiert, obwohl er derzeit ohnehin als Hauptverdächtiger eingesperrt ist. Um Gottes willen, hoffentlich hat er noch nicht gestanden. Sonst wären ja meine ganzen Bemühungen umsonst.«
Leopold schüttelte den Kopf. »Da machen Sie sich nur einmal keine Sorgen, ich glaube nicht, dass er’s getan hat. Schauen Sie lieber, dass die Liste stimmt, wenn mein Freund, der Oberinspektor, kommt. Und das kann bald sein.«
Die Türe öffnete sich, aber nicht Oberinspektor Richard Juricek betrat das Lokal, sondern der große, robuste Mann mit den Geheimratsecken und dem fauligen Mundgeruch von gestern Abend. Er stellte sich an die Theke und rief, sichtlich von
Weitere Kostenlose Bücher