Karambolage
Anschauungen nämlich ganz schön weit daneben«, beharrte Leopold.
»Und ich glaube, die beiden Herren sollten sich erst einmal beruhigen«, sagte Oberinspektor Juricek, der nun auch am Tatort erschienen war, seinen Mantel und den Sombrero auf einen Kleiderhaken gehängt hatte und sich mit beiden Händen durchs glatte Haar fuhr. »Man hört das Gezanke ja bis auf die Gasse hinaus. Furchtbare Sache, was? Wie geht es dem armen Erwin Seidl? Frau Dichtl kümmert sich um ihn? Gut.«
Dann ließ er sich von Bollek über den Stand der Dinge informieren. »Selbstmord meinen Sie? So, so«, nickte er nachdenklich. »Es sieht ja wirklich ganz danach aus. Und es scheint, als ob ein Zusammenhang zum Fall Fellner gegeben ist, wie Sie richtig bemerken. Aber wir müssen sichergehen. Vielleicht findet die Spurensicherung etwas, das uns weiterhilft. Und Sie, Bollek, sehen bitte einmal nach, ob jemandem im Haus etwas aufgefallen ist, ob man jemanden zu Seidl kommen gesehen oder gehört hat.«
Mit einer eindeutigen Kopfbewegung schickte Juricek seinen Inspektor nach draußen. Erst dann begrüßte er seinen Freund. »Jetzt fällst du mir schon auf, Leopold«, schmunzelte er. »Immer als Erster am Tatort, immer in heftige Diskussionen mit dem armen Bollek verwickelt. Warum bist du eigentlich hier?«
»Der alte Seidl ist auf einmal bei uns im ›Heller‹ aufgetaucht, kurz vor der Sperrstunde. Eduard hatte ihn weggeschickt, er solle sich einen schönen Nachmittag machen. War angeblich gut gelaunt, hat seinem Vater Geld mitgegeben. Wirkt das so wie jemand, der sich kurze Zeit später umbringen will?«
»Ich weiß nicht. Erzähl weiter.«
»Schließlich landete Seidl also bei uns. Er war ziemlich erschöpft. Ich habe gemerkt, dass er es nicht mehr hinauf in die Wohnung schaffen würde. Also bin ich mit ihm gegangen. Dann habe ich das Gas gerochen, bin hinein in die Wohnung, habe dem armen Eduard aber nicht mehr helfen können. Den Rest kennst du ja.«
»Und du glaubst nicht an einen Selbstmord?«
»Richard, in der Küche steht ein sündteurer Whiskey, der vorher nicht da war und von dem etwas getrunken wurde. Schau dir die Weine an, die der alte Seidl konsumiert, schau dir die Dosen Bier an, die im Kühlschrank stehen. Lauter billige Marken. Außerdem war Eduard kein Schnapstrinker. Und dann gibt es noch ein paar Indizien. Das Glas hat er noch abgewaschen, und auf die Brille hat er sich draufgelegt, anstatt sie abzunehmen. So verhält sich kein Selbstmörder.«
»Du meinst, jemand hat die Flasche mitgebracht, die beiden haben miteinander angestoßen …«
»… und dann war Eduard entweder vom Whiskey k. o., oder der große Unbekannte hat mit ein paar Tropfen oder einem Pulverchen nachgeholfen.«
»Schließlich hat er den wehrlosen Seidl junior liegen gelassen oder unter den Herd gelegt und das Gas aufgedreht.«
»Genau. Seidl muss seinen Gast erwartet haben und hat deswegen auch seinen Vater weggeschickt.«
»Glaubst du, der Täter wusste, dass sich ein alter Gasherd in der Wohnung befindet?«
»Nicht unbedingt. Er hätte Eduard ja auch auf eine andere Art umbringen können. Aber so brauchte er sich nicht die Finger schmutzig zu machen und konnte zumindest fürs Erste einen Selbstmord vortäuschen.«
»Trotzdem bleiben da noch ein paar Fragen offen, Leopold. Warum würde jemand so etwas tun? Und steht dieser Mord – wenn es einer ist – tatsächlich in einem Zusammenhang mit dem an Fellner?«
»Ich vermute, der Mörder dachte, Erwin oder Eduard wüssten mehr, als sie uns gegenüber zugegeben haben«, sagte Leopold. »Leider hat sich herumgesprochen, dass der alte Seidl aus dem Fenster alles beobachtet hat. Heute Nachmittag hatten wir zum Beispiel illustren Besuch im Kaffeehaus: Olga Fellner und Sykora. Die beiden sind wegen des Pokals aneinander geraten. Dabei hat Olga Sykora lauthals als Fellners Mörder bezeichnet. Alle wollten wissen, was Seidl gesehen hat. Schließlich kam Lacroix dazu und hat von Sykora eins auf die Nase bekommen.«
»Das ist dieser Witwentröster, nicht?« Juricek war durch die polizeilichen Ermittlungen, aber auch durch seine Telefonate mit Leopold offensichtlich bestens informiert. »Und Sykora hat wieder zugeschlagen? Unverbesserlich, der Kerl. Wir mussten ihn laufen lassen, weil im Moment doch mehr gegen als für ihn als Täter spricht. Aber für seine Hiebe wird er sich verantworten müssen.«
»Haben Olga und Lacroix eine Anzeige gemacht?«, wollte Leopold wissen.
»Davon ist mir nichts
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