Karambolage
bekannt. Glaubst du, sie waren hier bei Seidl heroben?«
»Ich weiß nicht.« Leopold hatte das ungute Gefühl, dass er derzeit überhaupt zu wenig wusste. Hätte Erwin Seidl von Olga Fellner und ihrem Chéri zu einer Aussage gegen Sykora verführt werden sollen? Wie aber war Eduard dann zum Opfer geworden? Außerdem: Hatte Eduard seinen mutmaßlichen Mörder nicht erwartet? Konnte man andererseits aufgrund dieses Sachverhaltes Olga und Lacroix als Täter jetzt einfach ausschließen? Hingen die zwei Morde – wenn es zwei Morde waren – wirklich zusammen?
Fragen über Fragen. Leopold musste sich ein neues Bild von der Lage der Dinge machen.
»Da ist noch etwas«, sagte er. »Seidl hatte eine Vermutung über die Identität des Täters. Er hatte seinen eigenen Sohn in Verdacht.«
Juricek zog die Augenbrauen hoch. »Ach so? Warum denn? Das ist ja jetzt wieder gegen alle deine Theorien.«
»Ich glaube nicht, Richard, lass mich ausreden. Er hat den Mörder ja nicht wirklich erkannt. Aber er hatte eben Befürchtungen. Der Täter kam schnurstracks auf das Haus hier zugelaufen. Da nahm Seidl an, er sei ins Haus hinein, kurz untergetaucht und später in die Wohnung gegangen, als ob nichts geschehen wäre.«
»Und?«, fragte Juricek erwartungsvoll.
»Ich behaupte jetzt Folgendes: Eduard kam aus dem ›Jimmy’s‹ nach Hause, sah, wie jemand Fellner vors Auto stieß, und diese Person lief in ihrer ersten Panik auf ihn zu.«
»Er hat den Täter erkannt, meinst du?«
»Richtig, und mit ins Haus genommen. Er hegte sicherlich Sympathien für einen Menschen, der Fellner gerade umgebracht hatte. Sie warteten auf einen günstigen Augenblick und spazierten dann zu zweit wieder seelenruhig aus dem Haus. Das ist im ersten Trubel niemandem aufgefallen, außerdem war es wahrscheinlich nach wie vor stockdunkel. Eduard drehte noch eine kleine Runde, und seinen späteren Auftritt haben wir ja selbst erlebt.«
Beide standen sie in der einen Ecke des Seidl’schen Wohnzimmers neben dem Fenster, das die Hauptverbindung Erwin Seidls zur Außenwelt darstellte. Längst schon waren die Leute der Spurensicherung auch in diesem Raum tätig, während sich der Polizeiarzt im Schlafzimmer um den angeschlagenen Vater des Toten kümmerte.
»Von hier aus kann man’s wirklich nicht sehen«, sagte Juricek. »Also hatte Erwin Seidl Grund genug, beunruhigt zu sein. Ja, ja, klingt alles plausibel, Leopold. Eduard hat das ›Jimmy’s‹ offensichtlich schon früher verlassen. Dann dieser Zufall: Er wird Zeuge eines Mordes, kennt den Täter. Er braucht Geld. Daraus wird eine kleine Erpressung, für ihn das Todesurteil. Er lädt den Täter für heute Nachmittag zu sich in die Wohnung ein und sieht zu, dass er seinen Vater loswird. Der Täter nimmt außer Geld auch den Whiskey mit und überredet Eduard, mit ihm noch einmal auf Fellners Tod zu trinken. Dann mixt er Schlafpulver, K.-o.-Tropfen oder sonst was hinein, und so weiter, und so weiter. Wenn es sich denn auch so zugetragen hat. Wir werden auf alle Fälle Eduard Seidls Mageninhalt genau untersuchen lassen.«
Leopold war zufrieden, denn er war sicher, dass er Juricek überzeugt hatte. Dennoch meinte er besorgt: »Weißt du, was mich stört, Richard? Die Tat an Fellner kann ja noch im Affekt passiert sein, aber der junge Seidl wurde mit voller Absicht umgebracht. Wir haben es jetzt mit einem kaltblütigen Mörder zu tun.«
Juricek zuckte mit den Achseln. Das war sein Geschäft, tagein, tagaus. Er suchte Mörder und ihr Motiv. Er hatte dabei immer wieder bemerkt, wie schnell aus sogenannten ›normalen‹ Menschen Verbrecher wurden und wozu sie fähig waren, wenn sie sich in die Enge getrieben fühlten. Er steckte sich eine Zigarette in den Mund und bot auch seinem Freund eine an.
Leopold rauchte nicht mehr so viel wie früher, dennoch inhalierte er den ersten Zug mit Genuss. »Wie weit seid ihr denn bei euren Ermittlungen?«, fragte er dann vertraulich.
»Du weißt, dass ich dir darüber nichts sagen darf«, gab sich Juricek bedeckt. »Wir befragen eben die einzelnen Leute, besonders die aus dem Klub und aus Fellners näherem Umfeld, überprüfen ihr Alibi. Dann gehen wir die Liste deiner Chefin durch, suchen nach einem Motiv, nach irgendwelchen Zusammenhängen. Bei Eduard Seidl hatten wir schon Indizien gesammelt, aber jetzt sieht offenbar wieder alles anders aus.«
Leopold hatte sich mehr erhofft. »Was ist mit Oskar Fürst?«, wollte er weiter wissen.
Juricek seufzte. »Traust du ihm so
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