Karambolage
kann ich schon rauchen?«, fragte er.
Leopold nickte. »Schau einmal her«, sagte er und ging zum Fenster. »Hier hast du hinausgeschaut vorgestern Abend. Du konntest sehr gut sehen, was auf der anderen Seite passierte: Fellner, der aus dem Kaffeehaus kam, die Gestalt, die plötzlich aus dem Hauseingang auftauchte, den Disput, den Stoß, die Karambolage mit dem Auto. Dann hast du noch gesehen, wie der Täter weglief, von mir aus hier auf dieses Haus zu. Aber was dann geschah, kannst du nur ahnen, weil du nämlich den Gehsteig auf dieser Seite durch das geschlossene Fenster unmöglich ausmachen kannst. Der Mörder kann weiß Gott wohin verschwunden sein. Du bildest dir jetzt nur ein, dass es Eduard war. In Wirklichkeit hältst du ihn so einer Tat nicht für fähig.«
»Aber es hätte für ihn sonst doch keinen Grund für einen Selbstmord gegeben.«
»Wer sagt denn überhaupt, dass es ein Selbstmord war?«, fragte Leopold. »Du bist der Einzige, der die ganze Zeit davon redet.«
»Was dann?«, wollte Seidl wissen. Er stierte geradeaus nach vorne, als ob er durch die gegenüberliegende Wand schauen könnte. Dann dämmerte es ihm langsam. »Du meinst … Mord? Wieso?«
»Wieso nicht, wenn wir davon ausgehen, dass es kein Selbstmord war?«
Diese neue Perspektive schien Seidl wieder durstig gemacht zu haben. »Leopold, bitte bring mir ein Glas Rotwein«, bat er. »Die Flasche steht in der Küche.«
Leopold ging in die Küche, wo die Gaskonzentration schon merklich zurückgegangen war. Er machte Licht und betrachtete Eduards toten Körper genauer. Eine Menge Fragen ging dabei durch seinen Kopf. War Eduard Seidl Fellners Mörder? Welchen anderen Grund für einen Selbstmord konnte es geben? Warum hätte ihn andererseits jemand umbringen sollen? Hatten Olga Fellner und ihr Chéri oder vielleicht gar Egon Sykora ihre Drohung wahrgemacht und ihn in Abwesenheit seines Vaters heimgesucht? War es dabei zu einem tödlichen Streit gekommen? Warum aber dann, von allen Mordwaffen, dieser aufgedrehte alte Gasherd?
Je mehr er nachdachte, desto weniger fand Leopold befriedigende Antworten auf seine Fragen. Spuren eines Kampfes gab es jedenfalls keine. Eduard lag leicht gekrümmt seitlich da. Und doch stimmte etwas nicht. Richtig, die Brille, die schief und verbogen auf seiner Nase saß. Hätte er, Leopold, die Brille nicht abgenommen, um in seinen letzten Lebensminuten halbwegs bequem zu liegen?
Die Flasche Rotwein fand er auf der Kredenz neben dem Kühlschrank. Daneben fiel ihm eine Flasche Whiskey auf, soweit er es beurteilen konnte, ein feiner Blend, eine teure Marke. Sie hob sich deutlich von dem billigen Wein aus dem Supermarktregal ab. Was machte sie hier? Das dazugehörige Glas stand, schön abgewaschen und abgetrocknet, neben der Spüle. Hätte er, Leopold, es vor seinem Tod noch gereinigt?
»Weißt du, woher die Whiskeyflasche in der Küche stammt?«, fragte Leopold.
»Nein«, sagte Seidl irritiert und trank sein Glas halb leer.
»Hat Eduard Whiskey getrunken?«
»Soviel ich weiß nicht. Bier hat er in ganz schönen Mengen in sich hineingeschüttet, aber sonst … vielleicht manchmal ein Glas Wein, aber sicher keinen Schnaps, zumindest zu Hause nicht.«
»War die Flasche heute Mittag schon da?«
»Ich kann mich nicht erinnern, aber nein, ich glaube nicht. Was soll diese Fragerei, Leopold? Was hat diese Whiskeyflasche mit dem Tode meines Sohnes zu tun?«
»Sehr viel, Erwin. Ich glaube nicht, dass sich Eduard einen teuren Whiskey besorgt, den er sonst nie trinkt, gerade einmal zwei, drei Gläser davon hinunterkippt, das Glas dann noch fein säuberlich abschwemmt und abtrocknet und schließlich das Gas aufdreht und sich unter den Herd legt. Also war es Mord, wie ich vermutet habe. Mord, als Selbstmord getarnt.«
Seidl, den der Rotwein kurz wieder beruhigt hatte, spürte das ganze Ausmaß an Verzweiflung auf sich zu kommen. »Aber wieso?«, brach es aus ihm hervor. »Und wer? Und wie soll das alles gegangen sein?«
Leopold versuchte, sich vorzustellen, wie Olga Fellner an Seidls Türe läutete, eine Flasche besten amerikanischen Whiskeys in der Hand, dahinter der leicht bediente [20] Lacroix mit säuerlichem Lächeln.
»Ich weiß es nicht, Erwin«, sagte er dann. »Möglicherweise hat man Eduard betrunken gemacht, dann irgendwie betäubt, auf den Boden gelegt und das Gas aufgedreht. Man muss warten, was bei der Untersuchung der Leiche und einer möglichen Obduktion herauskommt. Auf jeden Fall sollten wir jetzt
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