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Karambolage

Karambolage

Titel: Karambolage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Bauer
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trübsinnig war und sich in seinen Sentimentalitäten verlor, suchte er meist eine schummrige Kneipe auf, wo er sich mit Alkohol betäuben und mit Musik zudröhnen konnte. Fand er dort Kontakt zu einer Dame, die ähnlicher Stimmung war und ebenfalls gerne dem Alkohol zusprach, drohte höchste Gefahr. Das Romantische wich dann langsam von Korber, und er empfand nur mehr den Wunsch, in ein sexuelles Abenteuer zu taumeln. Oft war dies aber eins, das ihn teuer zu stehen kam, dessen Einzelheiten er nicht mehr voll miterlebte oder das sonst einen bitteren Nachgeschmack hinterließ.

    So hatte er mit Leopold eine Vereinbarung getroffen: Er bat ihn, ihn nach Möglichkeit vor solchen Situationen zu bewahren, indem er ihn rechtzeitig abholte. Wie aber sollte Leopold ahnen, wann der richtige Zeitpunkt gekommen war und wo er seinen Schützling auflesen konnte? Wie sollte Korber andererseits ohne umständliches Telefonieren und ohne sich eine Blöße zu geben seinen Freund verständigen?
    Zu diesem Zweck hatte Leopold einen Code entwickelt, der dazu diente, bei Bedarf knapp und präzise die jeweilige Trinksituation mittels SMS darzustellen. Der bestand im Wesentlichen aus drei Kennungen sowie dem Namen, nötigenfalls der Adresse des betreffenden Lokals:

    ›Variante1‹ hieß: ›Bin gerade auf ein Gläschen.‹ Leopold konnte, wenn er Zeit und Lust hatte, nachkommen. Harmlos.
    ›Variante 2‹ hieß: ›Bin gerade wo hineingefallen.‹ Damit waren bei Korber oft eine gewisse Langeweile und Unzufriedenheit verbunden. Alarmbereitschaft.
    ›Variante 3‹ hieß: ›Es ist so weit.‹ Jetzt war Korber gerade noch bereit, einen Unsinn, den er vielleicht in der nächsten Stunde begehen wollte, abzuwenden. Sofortige Aktion vonnöten.
    An einem Abend wie diesem, wo er wusste, dass sein Freund Thomas mit Maria Hinterleitner ausgegangen war, begab sich Leopold deshalb trotz der vorhergegangenen Aufregungen und seines vorgesehenen Ausflugs am nächsten Tag noch nicht zu Bett. Er war bereit, die von ihm vorhergesagte Katastrophe abzuwarten. Als er dann den wohlbekannten Piepston hörte, warf er sofort einen Blick auf das Display und las die folgende Kurzmitteilung:

     
          ›Variamnte 3, Botafogo.‹

     
    Der nicht mehr ganz so flinke Finger Thomas Korbers sagte wohl mehr über seinen Zustand aus als der knappe Text. Außerdem war das ›Botafogo‹ ein Schuppen, den Thomas immer in Augenblicken höchster Verzweiflung ansteuerte. Drinnen stand der Rauch in dichten Wolken, der Alkohol floss in Strömen, zur Unplugged-Musik auf der Bühne wurde geschunkelt und gegrölt, und Damen, an denen das Leben schon ein bisschen vorbeispaziert war, streckten ihre Finger nach einsamen Gefühlsduslern wie Thomas aus. Es musste schnellstens gehandelt werden, keine Frage.
    Leopold fuhr in die Innenstadt, parkte seinen Wagen und eilte ins ›Botafogo‹. Zwei Türsteher sahen ihn kurz verwundert an, dann war er an ihnen vorbei und mitten in Qualm, Dunkelheit und Lärm. »Country roads, take me home, …« schallte der John-Denver-Klassiker von der Bühne. Trotz der sonst traumwandlerischen Sicherheit, die er sich durch seine jahrelange Serviertätigkeit im ›Heller‹ angeeignet hatte, stolperte Leopold über Beine und Taschen. Schließlich landete er im hintersten Eck, wo er Thomas Korber zuerst nur geahnt hatte und jetzt auch leibhaftig sah.
    »West Virginia, mountain momma …«, schrie sich Korber die Seele aus dem Leib und schnippte dazu mit den Fingern. Neben ihm schnippte ein bedenklich junges Mädchen und sang vielleicht noch falscher. Sie zwinkerte Korber dabei zu und stürzte den grünfarbenen Inhalt ihres Glases hinunter. Wen hatte er sich denn da wieder als Gespielin seines Unglücks ausgesucht?
    »Ach, Leopold«, winkte Korber. »Das ist Leopold«, sagte er zu seiner Nachbarin. »Ich habe dir gerade von ihm erzählt. Leopold, das ist Silke.«
    »Hallo«, sagte Silke. Nett sah sie aus, klein und zart, beinahe unschuldig. Aber trotz ihrer Jugend wirkte sie schon etwas reaktionslos. Wortlos hatte sie Korber ihr Glas in die Hand gedrückt, der sich um eine Nachfüllung bemühte.
    »Schönen Abend«, grüßte Leopold. »Du hast dich bei mir gemeldet, Thomas. Variante 3.«
    »Ach so?« Korber machte eine wegwerfende Handbewegung. »So schnell hättest du aber nicht zu kommen brauchen. Komm, stell dich zu uns und trink noch ein Glas.«
    Leopold wurde ungeduldig: »Erstens: Seit deiner Botschaft ist eine gute Stunde vergangen, also genug

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