Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Karambolage

Karambolage

Titel: Karambolage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Bauer
Vom Netzwerk:
ihn unerreichbare, weil verlobte Lotte verliebt und schließlich aus Verzweiflung seinem Leben ein Ende setzt.

    Korber holte ein Buch aus dem Wandregal hervor, schlug es auf und blätterte kurz darin. »›Was ist unserem Herzen die Welt ohne Liebe‹«, las er dann vor. »›Was eine Zauberlaterne ist ohne Licht! Kaum bringst du das Lämpchen hinein, so scheinen dir die buntesten Bilder an deine weiße Wand! Und wenn’s nichts wäre als das, als vorübergehende Phantome, so macht’s doch immer unser Glück, wenn wir wie frische Jungen davorstehen, und uns über die Wundererscheinungen entzücken.‹«
    »›Musste denn das so sein, dass das, was des Menschen Glückseligkeit macht, wieder die Quelle seines Elends würde?‹«, zitierte Leopold eine andere Stelle aus dem Gedächtnis. »Und später heißt es: ›Sie sieht nicht, sie fühlt nicht, dass sie ein Gift bereitet, das mich und sie zugrunde richten wird; und ich mit voller Wollust schlürfe den Becher aus, den sie mir zu meinem Verderben reicht. Was soll der gütige Blick, mit dem sie mich oft – oft? – nein, nicht oft, aber doch manchmal ansieht?‹«
    »Du hast eben für die wahren Gefühle der Liebe nichts übrig«, sagte Korber achselzuckend und schloss das Buch wieder.
    »Doch, aber was sind deine ›wahren Gefühle der Liebe‹? Du verliebst dich ständig in Frauen, die du nicht bekommen kannst. Du siehst jedes flüchtige Lächeln deiner Verehrten als Liebesbeweis an. Du hast offenbar Verlangen danach, dich von ihr ins Verderben reißen zu lassen. Wie das bei Werther geendet hat, weißt du ja: Seine Sinne haben sich verwirrt, und er hat sich erschossen. Übrigens haben es ihm eine ganze Menge so sentimentaler Jünglinge wie du nachgemacht. Ziehe mir also bloß nicht dieses Buch zu deiner Verteidigung heran, außer du spielst jetzt mit dem Gedanken, dich auch umzubringen.«
    »Warum kennst du den Roman so gut?«, fragte Korber erstaunt.
    Leopold machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wir haben früher in der Schule noch viel auswendig lernen müssen«, sagte er. »Da bleibt eben etwas hängen. Außerdem habe ich mich in meiner schwärmerischen Phase kurz noch einmal für den ›Werther‹ interessiert.«
    Leopold beließ es meist bei solchen Andeutungen, wenn es um sein Liebesleben ging. Er hatte Thomas nur einmal angedeutet, dass auch er Fehler gemacht, eine längerfristige Beziehung zum Scheitern gebracht hatte. Auch heute wollte er nicht näher auf das Thema eingehen. Er zog es vor, noch eine Stelle aus dem Roman zu zitieren. »Kennst du mein Lieblingszitat aus dem Buch?«, fragte er. »›Ich möchte mir die Brust zerreißen und das Gehirn einstoßen, dass man einander so wenig sein kann. Ach die Liebe, Freude, Wärme und Wonne, die ich nicht hinzubringe, wird mir der andere nicht geben, und mit einem ganzen Herzen voll Seligkeit werde ich den andern nicht beglücken, der kalt und kraftlos vor mir steht.‹«
    »Das hast du dir all die Jahre lang gemerkt? Tolle Gedächtnisleistung«, attestierte Korber.
    »Ja, und weißt du, warum? Weil es eine Antwort darauf versucht, was dieses ›wahre Gefühl der Liebe‹ ist. Gibt es so etwas überhaupt? Schau dir die Menschen an, Thomas. Weißt du, was sie denken, fühlen, wenn sie zum anderen sagen: ›Ich liebe dich‹? Die meisten denken an ein kurzes Abenteuer oder einen Seitensprung, der möglichst unentdeckt bleiben soll. Viele denken an gar nichts. Kaum einer denkt an das gegenseitige Geben und Nehmen, das die ›wahre Liebe‹ erst ausmacht. Und Leute wie du suchen sich prinzipiell dazu jemanden aus, der ihnen so gut wie keine Liebe entgegenbringt.«
    Korber sagte jetzt nichts zu seiner Rechtfertigung. Er schwieg und hörte Leopold zu.
    »Aber worauf läuft das Ganze hinaus, und warum erzähle ich es dir?«, dozierte Leopold weiter. »Weil andererseits viel zu viele Menschen an die ›wahre Liebe‹ glauben, glauben, dass sie geliebt werden und all das romantische Zeug stimmt, das man ihnen sagt. Manche bringen sich um, wenn sie nicht das bekommen, was sie sich erträumt haben. Was aber tun die andern, wenn sie enttäuscht, hintergangen und betrogen worden sind? Wenn sie die Verzweiflung martert? Richtig! Sie begehen ein Verbrechen. Die Liebe, oder das, was die Menschen so nennen, ist folglich einer der Hauptgründe für eine kriminelle Tat. Der untreue Ehemann, die Angebetete, die einen nicht erhört, die Ehefrau, die zu einem lästigen Anhängsel geworden ist, weil sie nicht in die Scheidung

Weitere Kostenlose Bücher