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Karambolage

Karambolage

Titel: Karambolage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Bauer
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Zeit, deinen Kummer zu ersäufen. Zweitens: Ich hab morgen etwas Wichtiges vor. Drittens: Wer mit dem Feuer spielt, kommt darin um. Also los!«
    Während die beiden zu diskutieren begannen, kam der Nachschub für Silke. Wieder kippte sie ihn in einem Zug hinunter. Ganz schön tüchtig für ihr Alter.
    »Sei nicht so streng«, bettelte Korber. »Es stimmt, ich wollte, dass du mich abholst, und es ist nett, dass du gekommen bist. Aber mir geht es heute wirklich mies, und die Musik ist gerade so gut, so aufbauend.«
    »Wenn du willst, können wir diese Hilfsaktionen in Zukunft auch bleiben lassen«, sagte Leopold. »Ich habe keinen Bock darauf, dich mitten in der Nacht aus irgendeiner Kneipe abzuschleppen. Aber gib dann nur ja nicht mir die Schuld, wenn deine Abenteuer böse enden.«
    Von der Bühne tönte jetzt der alte Stones-Hit ›Angie‹. Silke wurde anlehnungsbedürftig und kraulte Korber im Nacken. Dabei machte sie den Eindruck, als hätte sie gerne die nächste Füllung. »Musst du wirklich schon mit dem Opa gehen?«, fragte sie beinahe zärtlich.
    Auf das Wort ›Opa‹ drehte sich Leopold um und ging. Sollte sein Freund doch hier mit dieser Nachwuchsschnapsdrossel versanden. Er stolperte zurück, über dieselben Taschen und Füße wie vorhin. Er hörte ein lautes: »Pass doch auf, Idiot!« Aber Gott sei Dank war nicht er damit gemeint, sondern Thomas Korber, der ihm auf höchst unsicheren Beinen gefolgt war.
    »Du hast ihr noch Geld gegeben?«, fragte Leopold auf dem Weg zum Auto.
    Korber nickte. »Sie hat ja kaum mehr etwas in der Tasche gehabt.«
    Leopold schüttelte den Kopf. »Schön langsam mache ich mir echt Sorgen um dich. Hast du nicht gesehen, wie alt die war? 16 vielleicht, höchstens 17. Da war ja deine Gabi [23] noch erwachsen dagegen.«
    »Aber Leopold, bitte versteh doch …«
    Jetzt wurde es Leopold zu bunt. »Was soll ich verstehen? Was für ein Hochgefühl es ist, wenn einem am Morgen nach der Bumserei die One-Night-Stand-Schwiegermutter das Frühstück ans Bett bringt? Oder wie romantisch es ist, vorher noch schnell gemeinsam Silkes Schulaufgaben zu machen? Thomas, ich sage dir …«
    Aber Thomas hörte nicht mehr zu. Er war in eine melancholische, offenbar vom Alkohol verordnete Trance verfallen und, sobald er auf dem Rücksitz Platz genommen hatte, eingeschlafen. Es wurde eine schweigsame Fahrt hinüber in den 21. Bezirk.
    Doch dann, als sie vor seinem Haus standen, erwachten Korbers Lebensgeister wieder. »Kommst du noch mit auf einen Kaffee?«, fragte er Leopold.

     
    *

     
    Natürlich, Leopold war müde, hatte einen anstrengenden Tag hinter und einen kleinen Ausflug am nächsten Tag vor sich. Andererseits war er nur zu neugierig, was bei seinem Freund Thomas Korber diesmal passiert war. Und schließlich musste er ihm noch über die Sache mit Eduard Seidl berichten. Also hieß es Augen offen halten, Kaffee trinken und zunächst einmal zuhören.
    »Was habe ich gesagt? Rotkäppchen«, resümierte er mit einem leichten Anflug von Triumph, nachdem sein Freund geendet hatte. »Thomas, lass die Finger von deiner Kollegin. Sie ist … wie soll ich es dir beibringen … sie ist wahrscheinlich nicht so, wie sie sein sollte.«
    »Wie meinst du das?«, fragte Korber, der abwechselnd einen Schluck vom Kaffee und dann wieder vom Bier nahm.
    »Sie war gestern im Kaffeehaus und hat dich gesucht. Dann kam Rotkäppchen. Die beiden haben ganz schön miteinander geschnuckelt. Das heißt, soweit ich es erkennen konnte, haben sie Zärtlichkeiten ausgetauscht, zumindest im Ansatz. Die beiden haben etwas miteinander, Thomas, das kannst du mir glauben.«
    »Das ist ja lächerlich«, protestierte Korber. »Die haben gar nichts. Aber auf irgendeine Art und Weise ist Maria abhängig von Ingrid, ich muss nur noch herausfinden, auf welche. Wahrscheinlich glaubt sie, dass sie als ihre ehemalige Lehrerin eine Verantwortung …«
    »Gar nichts wirst du herausfinden«, unterbrach ihn Leopold. »Du wirst schön deine Finger von der feinen Dame lassen, das ist mein voller Ernst. Was sollen diese ständigen Sentimentalitäten? Du wirst noch einmal an ihnen zugrunde gehen.«
    »Ich bin eben ein sehr empfindsamer Mensch«, rechtfertigte sich Korber.
    »Ein sehr empfindlicher«, korrigierte Leopold.
    Dabei fiel beiden ziemlich gleichzeitig der wohl empfindsamste Held der Weltliteratur ein: Werther. Werther, Goethes träumerisches, zwischen allen Gefühlsrichtungen schwankendes Geschöpf, das sich unsterblich in die für

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